Mit Blick auf Südkorea wird in den Medien von Journalisten, Epidemiologen und Politikern seit Wochen eine „Tracing-App“ forciert, die sich Leute auf ihren Smartphones installieren sollen um dann eine Nachricht zu erhalten, wenn eine Kontaktperson zwischenzeitlich positiv auf COVID-19 getestet worden ist.
Die Idee klingt gut und notwendig: Infizierte sind bereits einen Tag vor Symptombeginn ansteckend und zudem sind viele Infektionen asymptomatisch. Stellen sich dann Beschwerden ein und kommt es zu einem Test, sind weitere kostbare Tage vergangen und weitere Menschen infiziert. Die Gesundheitsämter können dann nur noch sehr beschränkt mögliche Kontakte nach einem Interview nachverfolgen und so zur Quarantäne zwingen.
Der nun kommunizierte Plan in der Öffentlichkeit ist es, dass eine App per Bluetooth laufend eine eindeutige ID aussendet, die dann von anderen Nutzern mit ihren Smartphones und kompatiblen Apps empfangen und gespeichert werden (mit zusätzlichen Attributen wie Dauer und Signalstärke) – und vice versa. So entsteht auf den Geräte ein Logbuch der „bekannten“ Kontakte.
Wird eine Person als positiv getestet, so würde diese dann ihre App-ID an das Gesundheitsamt melden, welches dann die ID an einen zentralen Dienst/Service weitergibt, wo sie dann abgerufen werden kann. Das bedeutet, dass die IDs aller positiven Nutzer zentral für alle User zugänglich sein würde ODER jede Nutzer bzw Aapp für jede einzelne „gesehene“ ID regelmäßig eine Abfrage an einen zentralen Server durchführen muss (was effektiv eine zentrale Speicherung aller Daten und Kontakte gleich käme).
All das sind datenschutzrechtliche und ethische Probleme („Smartphone-App-Zwang“). Aber nicht das eigentliche Problem.
Das eigentliche Problem ist, dass Bluetooth schlicht dafür nicht geeignet ist.
Bluetooth wurde vor über 20 Jahren dazu entwickelt, Mäuse, Tastaturen, Headsets per Funk anzubinden. Ohne Triangulationsmöglichkeit gibt es keine verlässliche Möglichkeit, den Abstand oder andere sinnvolle Kriterien zu ermitteln, die eine Infektionswahrscheinlichkeit ergeben würde.
Bluetooth bzw. die Signalstärke oder Laufzeit, die Dauer der Verbindung (Sichtbarkeit) ist absolut unzuverlässig. Innerhalb einer Straßenbahn, S-Bahn, Supermarktes, Möbelhauses gäbe es vergleichsweise viele Menschen und sicherlich auch Infizierte, die dann sofort alle anderen in Quarantäne zwingen würde. Egal ob sie 30cm oder 15m Abstand eingehalten haben. Oder ob es an der frischen Luft war, wo aerosole Übertragungen unwahrscheinlicher sind als in einem stickigen Aufzug, oder dazwischen eine Plexiglaswand stand (Kassierer).
Das System schreit nach einer maximalen Anzahl an false positives welches zu einer Art Quarantäne-Lotterie mit hoher „Gewinnwahrscheinlichkeit“ führen wird.
BM Spahn hat in einem n-tv Interview heute auch eingestanden, dass in Südkorea GPS verwendet würde und nicht Bluetooth. Es findet also keine Kommunikation zwischen Smartphones statt, sondern die aktuelle Position wird sekündlich erfasst und auf einen Server hochgeladen, quasi eine elektronische Fussfessel.
Doch auch hier stellt sich die Frage, wie genau GPS bei einem Smartphone wirklich ist. Ich gehe zB ab und zu eine Route im Olympiapark spazieren und logge die Strecke mit 3 Apps auf meinem iPhone 8. Mobilfunk ist aktiv somit auch AGPS für einen schnellen Fix (initiale Bestimmung). Trotzdessen gibt es auf der Strecke zeitweise massive Abweichungen, teilweise 20m, zu Google Maps oder OpenStreetMap.
Natürlich landet das Smartphone in der Jacken oder Hosentasche und hat somit nur einen sehr eingeschränkten GPS-Empfang, den das Betriebssytem durch Gyrosensoren und über AGPS laufend korrigieren muss. Aber 20m mitten in der Stadt sind viel zu große Messfehler für eine zielführende Risikoeinschätzung.
Zynisch kann man jetzt darauf hoffen, dass die als Technologieversager bekannte T-Systems zusammen mit SAP nicht in der Lage sein werden, solch eine Lösung zu entwickeln. Zumal sie vollständig abhängig vom Unterbau von Apple und Google sind, der gerade erst noch geschaffen wird. Die Plattformen sind vollständig in der Hand von Apple und Google, so kann zB keine iOS-App direkt mit dem GPS-Modul „sprechen“, auch die Bluetooth-Verbindung steht nur indirekt bereit.
Das beste Szenario ist, dass man in Deutschland auf sehr wenige Neuinfektionen kommt und die App dann massive regionale False-Positives erzeugt. Vergleichbar mit einer Unwetterwarnung des Wetterdienstes über Starkwinde und „umstürzende Bäume“ – zwar trifft es immer nur wenige, die Warnung geht aber an alle raus. Wer schlau ist, wird die Risiken abwägen und zuhause bleiben – zB in Quarantäne.
Dafür das „Geschiss“ einer Tracing-App etablieren zu müssen, erinnert fast schon an Homöopathie.
Es zeigt aber auch, wie wenig Grundlagenwissen vorhanden ist.
Keiner kann programmieren, keiner hat jemals eine App entwickelt. Alle sind wir abhängig von Dritten, müssen uns an „Ideen“ Dritter klammern oder fallen auf diese rein.
Siehe Auch:
https://www.schneier.com/blog/archives/2020/05/me_on_covad-19_.html