Access-Provider der westlichen Welt plagen ähnliche wirtschaftlichen Problem beim Thema Breitband: Einerseits sind hohe IP-Access-Bandbreiten erwünscht, andererseits ist der Ausbau teuer und deshalb wirtschaftlich selten darstellbar. Und dann wollen die Leute nicht nur zuhause sondern auch unterwegs hohe Bandbreiten nutzen und Investitionen in die Mobilfunknetze müssen in relativ kurzen Abständen wieder verdient werden, denn sie verlieren rasch an Wert.
Parallel verlegt man aufwendig Lichtwellenleiter (Glasfaser) immer näher zum Kunden (VDSL, Vectoring, FTTC) oder gleich ins Haus/Wohnung (FTTB/FTTH). Trotzdem gibt es in jedem „Vorzeigeland“ Regionen, in denen das auf absehbare Zeit nicht passieren wird. Sogar in der Schweiz, in Frankreich und in den Niederlanden.
Schon vor Jahren kam man deshalb auf die Idee, die verfügbaren Zugangswege (also Festnetz und Mobilfunk) zu bündeln und dadurch Kunden in diesen Regionen gesteigerte Bandbreiten anzubieten. Leider ist das nicht so einfach, wenn zwei oder mehr Transportwege sich in vielen Parametern unterscheiden (Latenz, Bandbreite, Nutzungsspitzen, Zuverlässigkeit).
In Deutschland gibt das Unternehmen Viprinet, dass eine proprietäre, closed-source Lösung mit eigener Hardware verkauft und damit seit Jahren auf Unternehmenskunden zielt. Die Telekom hat seit ein paar Jahren eine technisch eher schwache Lösung (auf GRE-Basis) am Start, die – soweit ich mich erinnere – von Huawei entwickelt wurde.
Wohingegen an der katholischen Universität in Löwen (Louvain) in Belgien seit über 10 Jahren an einem offenen Standard und offenen Implementierung gearbeitet wird. Der führende Entwickler ist seit Jahren bei Apple tätig und hat dort das von ihm mitentwickelte MPTCP (multipath TCP) in iOS implementiert. Siri als Anwendung setzt beispielsweise seit iOS 7 darauf um dynamisch WiFi und 4G zu bündeln.
Andere Mitglieder des Teams haben 2014 daraus ein Software-Unternehmen gegründet und bieten kommerzielle Services für Telcos an, während sie parallel die freie Weiterentwicklung vorantreiben und dafür in Gremien wie der IETF aktiv sind.
Unterstützt werden sie unter anderem von der Swisscom, von KPN und dem französischen Provider OVH, die bereits alle kommerzielle Rollouts durchgeführt haben und MPTCP für die Anbindung von Kunden einsetzen. Hier ein Werbevideo von KPN über den Einsatz in den Niederlanden:
Auch die EU förderte das Projekt im Rahmen des Programmes Horizon 2020.
Da fragt man sich dann schon, warum sowas in Belgien erdacht und entwickelt und im europäischen Ausland, von Apple global und Samsung regional in Korea erfolgreich ausgerollt und betrieben wird, aber an keiner deutschen Hochschule, an keine Fraunhoferbude und auch nicht bei einem „Technologie-Unternehmen“ wie der Deutschen Telekom eine ebenbürtige Lösung entwickelt werden konnte, geschweige denn ein offener Standard inklusive einer freien, für jedermann nutzbaren Referenzimplementation. Nein, ohne Huawei geht nichts mehr.
Überhaupt spielen deutsche Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen (inkl. DAX/TecDAX/MDAX-Konzerne) quasi keine Rolle, was die technologischen Grundlagen des Internets und seine Weiterentwicklung angeht.
Bezieht man die Landesgröße, Einwohnerzahl, die Anzahl der Hochschulen, die Konzerngrößen und den ganzen Bohai um „Digitalisierung“ mit ein, ist das Resultat für Deutschland mehr als beschämend.
Den gesamten Satz der Internet-RFCs seit 1969 gibt es hier zur Analyse: https://www.rfc-editor.org/retrieve/bulk/
Wer hingegen jetzt trotzdem auf den Geschmack von Kanalbündelung gekommen ist und es selbst ausprobieren möchte: Das Projekt https://www.openmptcprouter.com/ stellt sowohl auf OpenWRT basierte Images für Router und Raspberry PIs bereit, als auch Images für den Betrieb der Gegenseite z.B. in der Cloud. Alles OpenSource. Grüßen und Dank nach Frankreich.