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China macht mir Angst.

Ja, richtig gelesen. Mittlerweile sind selbst die billigen Dinger von AliExpress und Co durchaus auf einem Niveau, das man hier von lokalen Herstellern gewohnt ist (die vermutlich beim selben Händler einkaufen und es nur mit Labels und TÜV-Zeichen verschönern).

China macht mir auch deshalb Angst, weil es dort eine Mischung aus Wild-West-Kapitalismus und Partei-Kommunismus gibt, bei der man Regimegegner jahrelang wegsperrt und manche auch umbringt. Es ist eigentlich nicht mit unseren angeblichen hohen moralischen Ansprüchen, den allgemeinen Menschenrechten und unserem Demokratieverständnis vereinbar, was dort abgeht.

Im Gegensatz zum „Ostblock-Sozialismus“ nach 1945 gibt es keine klare Abgrenzung, wir spielen das Spiel mit um günstige Produkte einkaufen oder teuer verkaufen zu können und unser Land und unsere Menschen nicht verheizen zu müssen (Umweltschäden, Ausbeutung). Schritt für Schritt übernehmen wir auch Überwachungstechnologien aus China – durch Naivität, Unwissen oder Schwäche.

Während linke und rechte Medien weiterhin gegen das Silicon Valley und seiner oftmals skrupellose Disruptions-Modelle anschreiben, die Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre teilweise mit Füßen treten, so wird bei China relativ wenig berichtet oder verschwiegen, wie abhängig wir bereits sind – es ist ja weit weg!

Was vielleicht auch daran liegt, dass China westliche Investigativreporter des Landes verweist oder deren lokale Mitarbeiter verfolgt. Eine ähnlich rückgratlose Verlogenheit ist man eigentlich nur bei der Partei „Die Linke“ gewohnt, welche z.B. den Einmarsch Russlands auf der Krim oder aktuell den venezulanischen Diktator unterstützt – Schuld hätten einzig und alleine die USA und Donald Trump. Aha.

Nur Kanada mit Präsident Trudeau und Aussenministerin Freeland scheinen aktuell konsequent jedes Menschenrechtsvergehen anzuprangern, selbst wenn dann diplomatische Beziehungen eingestellt, Botschafer abgezogen/ausgewiesen werden und sicher auch Teile der kanadischen Wirtschaft Nachteile zu befürchten hat.

Vermutlich wird Kanada trotzdem nicht viel bewirken können, der Besuch von Freeland vor einigen Monaten bei Heiko Maas, um Unterstützung in der harten Haltung gegen Saudi-Arabien zu bekommen, scheint nicht erfolgreich gewesen zu sein. Deutschland möchte nicht die „guten“ Geschäftsbeziehungen riskieren, weder mit Saudi-Arabien, mit dem IRAN oder China.

Wir tun so, als wäre es alternativlos, die genannten Regime mit jeder Menschenrechtsverletzung, mit tausenden Hinrichtungen pro Jahr, kriegerischen Auseinandersetzungen mit Nachbarländern und Zensur davonkommen zu lassen.

Sicherlich wird man bei den nächsten Konsultationen mit China in einer Pressekonferenz die Floskel verbreiten, dass Kanzlerin oder Aussenminister in einem Vier-Augen-Gespräch „natürlich“ auch die chinesische Menschenrechts-Situation angesprochen hätten. Eine verlogene Äusserung, eine Beichte um sich nicht schuldig fühlen zu müssen oder jedenfalls „alles Menschenmögliche in dieser heiklen Situation“ getan zu haben.

Man wird auf die kulturellen Unterschiede, man wird behaupten, dass Menschenrechte und Demokratie regional unterschiedlich stark zu Interpretieren seien und nicht 1-zu-1 übertragbar oder vergleichbar wären. Man wird auch explizit darauf hinweisen, das man nicht in „Kolonialzeiten“ zurückfallen möchte und deshalb nicht vorschreiben möchte, wie es anderswo zugehen soll.

Und man großes Vertrauen in den vom Parteirat auf Lebenszeit bestimmten Führer hat.

Natürlich profitieren viele Millionen Chinesen vom Aufschwung der letzten 15-20 Jahre. Es ist für sie noch immer eine enorme Steigerung, pro Woche 60 Stunden in der Fabrik am Fliessband an Smartphones zu schrauben oder mit gefährlichen Chemikalien zu hantieren, als 2000 km abseits in der Provinz verarmt von der Landwirtschaft zu leben (oder zu sterben).

Auch hier in der EU gibt es tausende Menschen, die ähnlich beschäftigt sind: LKW-Fahrer aus Osteuropa. Sie fliehen auch der Perspektivlosigkeit vor Ort und fahren unter für uns unvorstellbaren Bedingungen unsere Güter durch Europa. Deutsche LKW-Fahrer werden das nicht gerne hören, aber: Osteuropäische Fahrer haben keine wirtschaftlichen Alternativen in ihrem Heimatland. Wer bei uns LKW fährt, zumindest die überwiegende Mehrzahl, lebt in einem Land mit exzellenter sozialer Absicherung und Zugang zu vielen Weiterbildungsmöglichkeiten um beruflich ausserhalb der Fahrerkabine eine Karriere zu beginnen.

Problematischer wird es ausgerechnet für viele Ingenieure und auch IT-Leute werden: Sie leben davon, dass hier in Deutschland Produkte entwickelt und produziert werden. Es ist nur eine Zeitfrage, bis insbesondere die Schlüsseltechnologien (ein schöner Ausdruck für eine wenig diverse Wirtschaft) Maschinen- und Autobau auch komplexe Entwicklungsaufgaben in China durchführen werden.

Wer braucht dann noch studierte Experten in Deutschland?

Für staatlichen Protektionismus ist es auch zu spät, weil ein Großteil der Gewinne deutscher DAX-Unternehmen (und deren Zulieferer) aus Umsätzen in China stammen. Würde man hier einen Wirtschaftskrieg anzetteln, so würde das Horror-Szenario noch viel früher eintreten.

Auch sozialromantische Dinge wie ein Bedingungsloses Grundeinkommen sind dann vollkommen illusorisch, weil nicht mehr finanzierbar, wenn die Beschäftigung rapide sinkt und dadurch auch die Steuereinnahmen. Hohe Arbeitslosigkeit fördert auch politische Unruhen und Populismus.

Da alle westlichen Länder unter diesem Problem leiden, wird auch die Migration von Fachkräften stark beschränkt werden: Bisher lassen die USA (oder Deutschland) nur Arbeitnehmer ins Land, welche die dortige Industrie weiterbringen und gesellschaftlich keine Konkurrenz zu Einheimischen darstellen. Bestenfalls werden dadurch sogar weitere, lokale Arbeitsplätze geschaffen. Doch gerade die lokale Wertschöpfung wird zurückgehen und die Lohn- und Entwicklungskosten werden auch nach einer Rezession in Europa oder den USA enorm viel höher sein, als in Peking, Shanghai oder Shenzen.

Und ein eine vollautomatische Produktion in Deutschland ist auch teurer als eine vollautomatische Produktion in China – plus Transport.

Letztlich handelt sich sich beim „bestehenden“ wirtschaftlichen Zustand des Planeten um eine Anomalie. Armut in Afrika, Südamerika, Arabien und Teilen von Asien sind zwar auch die Folge von Diktaturen, Bürgerkriegen, Glaubensbullshit, andererseits auch Kolonialismus, fehlende Rohstoffe oder allgemeinere Umweltbedingungen. Schafft es eine Region über einen Zeitraum politisch stabil zu werden, ist ein „Aufstieg“ aus der dritten oder zweiten Welt möglich. Oder im Falle Chinas auch eine Neudefinition was „Erste Welt“ noch bedeutet.

„Emerging Markets“ und das Bestreben „Höher, Schneller, Weiter“ sind vollkommen legitim, auch das „Kopieren und Nachbauen“ ist ein Teil des Lernens und Wissensaufbau, der auch in Deutschland lange üblich war – bis man hier die Arroganz mit Löffeln gefressen und sich für etwas besseres gehalten hat.

Selbst eine Umweltschädigung kann akzeptabel sein, wenn weiteres Wachstum dann nicht einzig darauf beruht. Wir können anderen Völkern nicht die Fehler verbieten, die wir selbst jahrhundertelang gemacht haben und uns dann schlauer und nachhaltiger agieren hat lassen. Wenn China also viele neue Atomkraftwerke braucht, um den Strombedarf zu decken, dann sind wir auch nicht in der Position, das zu kritisieren. Wir satten Westler schaffen es ja noch nicht mal unsere Braunkohletagebauen und -Kraftwerke loszuwerden, weil es ein paar Mio Euro und 20.000 Jobs kosten könnte! Lächerlich!

Tja, wir hatten alle gehofft, so weitermachen zu können, aber nicht damit gerechnet, dass China auch 30 Jahre lang auch ohne weitere Panzer-Massaker eine erfolgreiche Revolution hinbekommt, leider auf Kosten der einfachen Leute dort und unserer satten Portemonnaies.

Wenigstens sind ab nächster Woche die dreiwöchigen Neujahrsferien in China vorbei, denn meine ca. 20 AliExpress.com und Banggood.com-Bestellungen liegen dort weiterhin unbearbeitet herum…

Ein Kommentar

  1. LZ LZ

    1. Paul Graham schrieb mal, dass er die Chancen von Firmen größer einschätzt, wenn sie etwas, was zuvor verfügbar war, verfügbarer machen (billiger gehört wohl dazu). Und die Chancen von Firmen geringer einschätzt, wenn sie etwas, das bisher profitabel war, lediglich schützen wollen.

    2. Der Erfolg von China liegt mMn auch darin begründet, dass sie von allen lernen und relativ undogmatisch filtern, was nützlich ist und was nicht. Etwas, das wir uns abgucken sollten.

    3. Alles was den Hochmut in frage stellt und dämpft ist letztlich gut. Ich hätte mehr Angst, wenn die Arroganz und Überheblichkeit zunehmen würde.

    4. Amerikaner arbeiten mWn auch 60+ Stunden die Woche. Und ich weiß nicht was Japaner machen, jedenfalls: Das würde ich nicht als Argument für Ausbeutung anführen bzw als Aspekt davon zu sehr rausstellen, jedenfalls nicht ohne Kontext.

    5. Spekulation: Software und Daten sind die Zukunft. Wenn China gut im Autobau wird, dann ist das fein, aber es ist nicht mehr entscheidend. Vielleicht sieht es bei Hardware anders aus, aber letztlich ist jetzt nur wichtig, wer welches Wissen hat.

    6. Dieses “Ansprechen der Menschenrechtslage” hast du gut getroffen. Die Welt funktioniert wie sie funktioniert, und alle haben ihre Rollen, und einer dieser Rollen ist halt so zu tun, als würde man wirklich was wegen der Menschenrechtslage tun. Würde ich komplett abhaken unter “Blabla” und auf das wesentlichere schauen, nämlich was eigentlich passiert: Wir haben eine beidseitig profitable Beziehung mit China.

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