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Die Zukunft des Fahrrades?

Utopia Roadster

Nachdem ich mich ein paar Monate mit dem Markt beschäftigt habe, möchte ich mal mein Gedanken zur Zukunft der Branche aufschreiben:

Deutschland ist bekannt für seine Fahrrad-Industrie: Unternehmen mit langer Tradition und qualitativer Weltmarktführerschaft. Sattel, Sattelstütz, Lenker, Getriebe, Beleuchtung (Leuchten, Nabendynamos), Bremsen, Gepäckträger, Taschen, Mantel/Schläuche oder Pedelec-Antriebe?

Ergotec/Humpert, Ergon, SQ-Lab, Rohloff, Pinion, Busch & Müller, Schmidt’s Original Nabendynamo (SON), Magura, Tubus/Racktime/Hebie, Ortlieb, SKS, Bosch, Brose, Schwalbe, Continental und so viele mehr.

Andererseits sind sehr viele andere Hersteller in der Vergangenheit vom Markt verschwunden oder übernommen worden.

Einige kennen vielleicht noch die Torpedo-3-Gang-Schaltungen von Sachs – und noch viel innovativere und komplexere Schaltungen (Sachs S7, DualDrive) wurden entwickelt und produziert, bis der US-Konzern SRAM Ende der 1990er die Fahrradsparte übernahm und vor einigen Jahren die gesamten Getriebeprodukte abkündigte – ausser für Pedelecs.

Auch viele Radhersteller sind verschwunden oder sind heute nur noch Marken-Hüllen, befüllt mit Standardrahmen und marktüblichen Produkten. Taiwan hat mittlerweile nicht nur die Weltmarktführerschaft in der Fabrikation von Halbleitern sondern auch im Bereich der Rahmenproduktion. Shimano aus Japan kontrolliert nahezu den gesamten Naben- und Schaltgetriebemarkt, muss sich im Pedelec-Bereich aber gegen Neulinge wie Nuvinci behaupten oder im Hochpreis-Handarbeits-Segment mit den Nabenschaltungen von Rohloff aus Fuldatal oder Pinion aus Denkendorf.

Eine Ursache dafür war die Umstellung von Stahlrahmen zu Aluminium-Rahmen die in den 1990ern vielen Rahmenproduzenten die lokale Fertigung einstellen ließ. Heute werden Stahlrahmen nur noch in relativ kleinen Umfang für hochpreisige Räder – meines Wissens in den Niederlanden und Tschechien – produziert.

Mit der Umstellung auf Alu und der großen Welle aus billige Baumarkträdern (Made in Kambodscha, Vietnam, China) trieb es sehr viele Fahrradgeschäfte aus dem Markt. Wartungen und Reparaturen sind Handarbeit und skaliere dementsprechend nicht, d.h. die Arbeitszeit bleibt gleich, egal wie teuer das Rad war (stimmt nicht ganz, aber fast). Kunden kauften im Baumarkt – oder jetzt online – und kommen dann zum lokale Händler, der bitte für 50€ ein Rad neu einspeichen und zentrieren soll, das Rad habe ja nicht mehr als 250€ neu gekostet inklusive zwei (2) Laufräderm.

Das funktioniert nicht.

Und so starb die Branche einen langsamen Tod bis vor 10 Jahren zwei neue Trends den ganzen Markt umgekrempelt haben:

1. Pedelecs.

Rechtlich als Rad zu fahren und doch mit E-Motor bis 25km/h bequem fahren. Viele Menschen kamen so meist im Rentenalter wieder aufs Rad (einige dann wegen Unfällen damit auch ins Grab), die Umsätze stiegen nicht nur wegen den sich immer weiter steigenden Verkaufszahlen sondern auch, weil der Durchschnittspreis deutlich über Fahrrädern liegt und sich in den letzten Jahren erstaunlicherweise auch immer weiter erhöhte.

Immer mehr Hersteller gingen oder gehen auf „Pedelec-Only“ und produzieren keine „Bio“-Räder mehr. Bekanntestes Beispiel dürfte „Riese & Müller“ sein, ursprünglich bekannt für vollgefederte Räder und Klappräder. Marken-Pedelecs je nach Ausstattung liegen dann schon bei 3000-8000€ pro Stück. Die oben angesprochene Zielgruppe besteht meist aus 2 Menschen (Rentner-Paar), also kann man 6000-16.000€ Umsatz mit dem Verkauf von nur zwei „Fahrrädern“ (Premium-Pedelecs) erzielen.

Zwischenzeitlich sind Fahrräder und Pedelecs immer proprietärer geworden, d.h. es gibt eine immer eingeschränktere Bauteilekompatibilität und viele Premium-Hersteller versorgen nur ihr eigenes Händlernetzwerk mit Ersatzteilen.

Ich gehe davon aus, dass die Hersteller ihren Partnern einiges für den Status abverlangen (Umsatz), aber auch großzügig bei der Marge sind. Deshalb sind auch viele Zweiradläden mittlerweile nur noch „E-Bike“-Geschäfte, die ausschliesslich Pedelecs einiger weniger Hersteller vertreiben, eben im hochpreisigen Segment. Reparaturen für nicht dort gekaufte Pedelecs werden nicht durchgeführt. So scheint man die Werkstatt mit dem Verkauf zu quersubventionieren. Vielleicht sind im hohen Pedelec-Kaufpreis auch schon gewisse „Service-Bestandteile“ einkalkuliert.

Das geht aber auf Dauer nicht gut, denn der Markt ist irgendwann gesättigt und Menschen kaufen sich (zumindest bisher) nicht alle paar Jahre für über 10.000€ ein paar neue Pedelecs. Akkus, Motoren und Displays kommen sowieso alle von Bosch oder einem anderen Anbieter, der volle Kontrolle über das Produkt hat – der Radhersteller darf nur beziehen und einbauen, muss dafür aber seine Rahmengeometrie anpassen, eine Nachrüstung ist ausgeschlossen (dafür gibt es BAFANG-Motoren aus China).

Verschlissene Akkus lassen sich auch über Drittanbieter mit neuen Zellen auffrischen und ansonsten ist ein Pedelec ein Fahrrad wie eh und je. Ob es für bestimmte Bauteile in 10 Jahren noch Ersatz gibt, ist ungewiss, aber eine geplante Obsoleszenz zu Gunsten der Pedelec-Hersteller fällt relativ schwer. Zynisch könnte man auch sagen, dass typische Rentner-Käufer 2-3 Jahre damit fahren, dann gesundheitlich die Räder einmotten und „konservieren“ für Ebay-Kleinanzeigen/Gebrauchtmarkt. Und ein Pedelec kommt so auf eine Lebensdauer von auch 10 Jahren.

2. Lastenräder

Lastenräder für den Kindertransport und eingeschränkt auch für allgemeine Lasten sind ein weiterer boomender Rad/Pedelec-Typ. Selbst München ist voll mit Lastenpedelcs in denen Mütter ihre Kinder zum Kindergarten fahren – neben den Segmentgrößen „Riese und Müller“ und „UrbanArrow“ gibt es weiterhin innovativ, hochqualitative Hersteller aus Dänemark (Larry-vs-Harry/Bullitt, Nihola), Asien (Tern) und den Niederlanden (Bakfiets.NL. WorkCycles) – aber auch viel China-Import-Schrott.

Nur wenige Käufer scheinen trotz hochwertiger Lasten-Pedelecs das Auto dauerhaft loszuwerden und zB auch Einkäufe damit zu erledigen, selbst wenn es ein 8000€ Riese & Müller Load-Cargobike mit großer Zuladung ist. So konsequent ist man dann auch wieder nicht. Und somit landen viele dieser Räder in 3-5 Jahren (sobald Kinder selbst Rad fahren oder ÖPNV nutzen können) wieder auf dem Gebrauchtmarkt und konkurrieren dann wieder mit den dann aktuellen Produkten.

Antriebstechnisch sind die Innovationsmöglichkeiten regulatorisch begrenzt: 250W Dauerleistung und Tritt-Unterstützung bis 25km/h – alles andere wäre illegal oder erfordert einen Führerschein, eine Pflichtversicherung und opfert das Privileg, Radwege zu benutzen (S-Pedelecs). Irgendwelchen IoT/Bluetooth-Kram/Smartphone-Anbindung zu verbauen, halte ich auch für ein Bullshit-Feature, insbesondere wenn die Apps dann nicht mehr verfügbar sind.

Es wird also auch hier genau so laufen, wie in den 1980/1990ern – sobald eine neue Rad-Kategorie gesättigt ist, kollabieren einzelne Hersteller und der Markt bereinigt sich. Der natürliche Gang von Innovationen und Marktwirtschaft und das Thema „E-MTB“ (Pedelec-Mountainbikes) scheint der nächste Supertrend zu werden, der noch mehr Käufer (auch jüngere) erreichen wird.

Wäre das doch nur nicht eine massive Ressourenverschwendung. Regelrecht unfassbar, wie sich manche Leute von ihren Premium-Rädern trennen, nur um ein Pedelec zu kaufen. Räder, bei denen alleine die Getriebenabe schon über 1000€ gekostet hat (bei lebenslanger Garantie), werden für signifikant unter 1000€ angeboten. Ganze Räder. Mit Premium-Ausstattung. In Bayern.

Vielleicht bin ich zu kritisch mit den Pedelecs, weil ich in einer relativ flachen Gegend wohne. Ein Pedelec für Alltagsfahrten wäre für mich aktuell nur eine Last: Angst vor Rad- und Akkuklau, regelmäßiges Aufladen etc.. Aber Pedelecs haben ihren Platz und wenn sie Autofahrten ersetzen oder Menschen wieder Mobil machen zB auf dem Land, dann sollen die Leute so viele Pedelecs kaufen wie sie können.

Aber dafür das „Bio“-Rad aufzugeben? Mit der DIY-Reparaturmöglichkeit, der großen Auswahl unterschiedlichster Komponenten, Lieferanten, Qualitätsstufen – das ist eine Form von Freiheit und Autonomie!

Kein Strom, kein Benzin, keine Bauteile mit kurzer Lebensdauer, genormte Gewinde und Größen für flexible Ersatzteilversorgung. Relativ geringer Verfall durch Nichtnutzung. Universell und ohne Kontrolle/Aufzeichnung einsetzbar. Ersatzteilversorgung weltweit, wie diverse Weltreisende zu berichten wissen.

Gäbe es in Deutschland nur eine liberale oder gar libertäre Partei, das Fahrrad wäre *das* Fortbewegungsmittel dieser Gruppe. Nicht ein Verbrenner-Auto mit 50% Bauteilen aus China, Benzin/Öl aus demokratiefremden Krisengebieten, mit Kennzeichen/Kennzeichenscanner an jeder Autobahn/Bundesstraße und noch so viel schlechtes mehr.

Zum Schluss noch eine Anekdote:

Heute habe ich mir bei einem Radgeschäft ein gebrauchtes Fahrrad gekauft – privat von einem Mitinhaber(?) des Geschäftes. Sein Laden hat vollständig auf Pedelecs umgestellt, vertreibt nur noch ein paar Marken und liegt in 1A Lage direkt an einem Hauptbahnhof.

Das mir verkaufte Rad ist 10+ Jahre alt, wird in seiner Grundform seit über 15 Jahren so aus Stahl produziert. Rahmen aus den Niederlanden, Endmontage in Saarbrücken. Komponenten je nach Wunsch, mittlerweile auch als Pedelec möglich. Es gibt einige Leute, die mit solchen Rädern (in anderer Konfiguration) um die Welt oder wenigstens ein paar Alpenpässe hoch gefahren sind.

Früher war das Geschäft auch mal Partner-Händler für diesen Hersteller, jetzt habe man sich aber auf die besagten Pedelec-Größen fokussiert.

Neben mir war ein Kunde „von früher“, der etwas an seinem Rad – lustigerweise das gleiche Modell nur mit Oberrohr – reparieren lassen wollte. Er ist noch immer vollends begeistert und schwärmte mir vor.

Die Masse wird davon leider nichts mehr erfahren.

Der Pedelec-Boom mit den Partner-Modellen von Riese & Müller, Stevens, Böttcher, Simplon und co. rettete tausende Fahrradgeschäfte wohl vor der sicheren Insolvenz, aber machte sie zu reinen „Pedelec-Apple-Stores“.

Die Masse der Kunden hat davor schon lieber billigen Schott im Baumarkt gekauft und hat es nicht anders verdient. Sie werfen Dinge weg und ersetzen sie, weil sie nie verstanden haben, was sie ausmacht oder wie sie funktionieren.

2 Kommentare

  1. Bernd Bernd

    PUKY Tigerente :3

  2. Roland Roland

    Das Rad ist der Hammer. Keine Ahnung ob es am Rahmen oder einfach den 60mm Big Apple-Reifen liegt. Man schwebt und es läuft so unfassbar viel leichter als die Nextbikes (die ja auch nicht schlecht sind). Grinse immer noch debil beim Fahren weil es so toll ist.

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