Zum Inhalt springen

23 Jahre Wiedervereinigung und gesellschaftliche Verantwortung

Aus aktuellem Anlass ein Beitrag über die deutsche Wiedervereinigung:

Auch heute stellt sich wieder die Frage, ob Ost- und Westdeutschland zusammengewachsen sind oder ob noch immer eine Trennung in den Köpfen oder im Alltag existiert. Ich möchte hier nur einen Aspekt hervorheben, der mir besonders wichtig ist: Die Landflucht.

Bilder von leerstehenden Plattenbauvierteln in Ostdeutschland sind jedem von uns im Gedächtnis, aber auch sehr viele Dörfer sterben aus, haben heute weniger als die Hälfte der Einwohner von 1990. Mangels Nachfrage gibt es oftmals keine regionale Versorgung mehr, Bürger müssen 30-50 Kilometer zum nächsten Krankenhaus fahren. Schulen wurden geschlossen und an einen Supermarkt im Umkreis von zehn Kilometern ist auch nicht mehr zu denken. Wirtschaftlich ist die Lage trostlos, es gibt keine Arbeit, die Jugend ist größtenteils weggezogen und noch immer sind die massiven Investitionsrückstände sichtbar. Aber warum soll jemand in ein vergammeltes Dorf investieren, wenn dort fast niemand mehr wohnt?

Bahnhof Bad Köstritz
Bahnhof Bad Köstritz

Solche Strukturen sind sehr anfällig: Perspektivlosigkeit, Zerfall und Minderwertigkeitsgefühl sorgen dafür, dass gerade Neo-Nazi-Gruppierungen passive aber auch aktive Unterstützung erhalten. Es ist für diese Rattenfänger sehr einfach mit einem „Dorffest“ und ein paar lauten Sprüchen die verbliebene Bevölkerung für sich zu gewinnen, wenn die Landeshauptstadt weit weg ist und sich ansonsten kein Politiker blicken lässt.

Viele andere sind weiterhin oder wieder der Linkspartei verbunden, was auch nachvollziehbar ist: Bis 1990 war das eigene Dorf sicherlich „marktüblich“ organisiert und versorgt. Wenngleich der Staat sich in den Bankrott gewirtschaftet und die Bürgerrechte aufs massivste verletzt hat, war das eigene Dorf trotzdem ein Teil des Ganzes und kein baufälliger Rest am Ende der Republik um das sich niemand kümmert (Die Großstädte waren, bis evtl. auf Teile von Ostberlin, auch Marode, so gab es kein „Gefälle“…).

Wenn man die von diversen Auktionshäusern regelmäßig angebotenen Gebäude in Ostdeutschland ansieht, meist vollkommene Ruinen, die seit 1945 nicht mehr saniert wurden und mindestens seit 1990 leer stehen, hat man leider auch wenig Hoffnung für die Zukunft: Selbst und gerade denkmalgeschützte Häuser  aus dem 19. Jahrhundert wären wohl nur mit Millionen Euro zu retten, aber warum sollte dies jemand leisten? In einem nicht mehr intakten Dorf ohne Grundversorgung, Kindergarten, Schulen?

Und ohne öffentlichen Personenverkehr. Bedingt durch die Landflucht und der „Bahnprivatisierung“ wurden in den 90ern sehr viele Bahnstrecken stillgelegt und abgebaut. Auch ein etwaiger heute stattfindender Busverkehr mit bspw. 4 Verbindungen pro Tag ist keine Alternative zum eigenen PKW, das gerade für sozialschwache nicht mehr zu finanzieren ist. So wurde die Landflucht noch weiter beschleunigt und die prekäre Situation gerade der PKW-losen Jugend und Senioren verschlimmert.

Der kontrollierte Rückbau von Dörfern, von staatlicher und kommunaler Infrastruktur fällt sehr schwer, insbesondere wenn eine emotionale Bindung herrscht. Welche andere Möglichkeiten hat der Staat? Klar, es ist nicht vertretbar für einige weniger Einwohner das volle Infrastrukturprogramm vor Ort bereitzustellen, andererseits könnte man sicher durch Bündelung und Ausarbeitung von Grundversorgungskonzepten eine attraktive Lösung schaffen, die nicht Unsummen verschlänge.

Die Aufgabe eines Staates ist die Grundsicherung des Lebens und darüber hinaus die Teilnahme am öffentlichen Alltag. Ich meine hier nicht ein BGE oder einer finanziellen Grundsicherung, sondern solche Dingen wie ein Anspruch auf Telefonanschluss, Stromversorgung, Wasser ver/entsorgung, Girokonto, Bahnanschluss … — egal ob in der Brandenburgischen Pampa oder in einer Großstadt wie Berlin. Zum gleichen Preis. Mit der Privatisierung diverser Staatsunternehmen,  ob Post und Postbank, Telekom, Bahn, Stadtwerken und EVU wurde die Basis-Infrastruktur unseres Landes oft unter Wert veräussert und die Rechtsansprüche auf Grundversorgung beschnitten oder abgeschafft.

Rein ökonomisch gesehen gibt es keinen Grund für ein privatwirtschaftliches Unternehmen, ein kleines Kaff mit schnellem Internet zu versorgen oder Bahn/Bus-Regionalverkehr anzubieten. Wir sehen das schon im ÖPNV-Bereich, wo sämtliche Leistungen im Schienenverkehr 100%ig durch die öffentliche Hand bestellt und bezahlt werden muss. Hier hat man also quasi die defizitäre Grundversorgung wieder verstaatlicht — ein Meisterstück der Bahnprivatisierung…

Aber es wird besser, langsam!

Wer hätte vor 10 Jahren geglaubt, dass Berlin auf einen Wohnungsnotstand zusteuert? Wer hätte sich in den wildesten Träumen ausmalen können, dass in Marzahn der Leerstand unter 5% fällt? Die wenigsten. Uns fehlt einerseits eine Vision und andererseits den Mut diese mit rationalen Mitteln umzusetzen.

Ich war vor einigen Wochen in Leipzig und bin sehr, sehr angetan von dieser Stadt. Ich wette mit jedem um 50€, dass wir in Leipzig genau das gleiche wie in Berlin sehen werden, nur mit 10-15 Jahren Verzögerung. Auch hier stehen unwahrscheinlich viele Altbauten um 1900 herum leer, viele post-Wende Spekulationen gingen schief, es wurde viel Schindluder mit Schrottimmobilien gemacht. Aber die öffentliche Infrastruktur ist spitze. Die LVB, die neue S-Bahn Mitteldeutschland mit dem CityTunnel, etc. — Und die Innenstadt ist bereits gentrifziert (im positiven Sinne) und durch luxuriöse Einkaufstempel „bereichert“. An Infrastruktur mangelt es, bis auf den noch fehlenden Apple-Store, keinesfalls!

Fassade in Leipzig

Der Staat, das Land Sachsen und die Stadt Leipzig haben hier sehr gute Bedingungen geschaffen. Jetzt ist es Zeit für Unternehmer und Bürger die Angebote auch wahrzunehmen. Das BMW und Porsche sich dort angesiedelt haben, ist kein Zufall. Wer also seine gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen möchte, der sollte statt Berlin lieber in Leipzig investieren. Mir scheint es dort viel mehr Chancen zu geben und eine pragmatischere, anpackendere Haltung als in Berlin, der Hauptstadt der Realitätsverweigerung.

Und mit jeder revitalisierten Metropole steigt auch das Potential der umliegenden Gemeinden wieder an, eröffnen sich neue Möglichkeiten die ländlichen Regionen wieder kostengünstig und attraktiv an das öffentliche Leben anzuschliessen. Dies schafft mittelfristig auch wieder Lebensqualität und neuen Wohlstand — das Mittel Nummer 1 gegen Gewalt und Extremismus jeder Art.

 

Auktionshäuser mit regelmäßigen Immobilienangeboten aus Ostdeutschland:

Leipzig:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

* Die DSGVO-Checkbox ist ein Pflichtfeld

*

Ich stimme zu