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SaaS ist kein Schlaraffenland für Entwickler

Zumindest meiner Erfahrung nach sind die meisten Projekte und Probleme im Leben als Software-Entwickler nicht primär technischer Natur, sondern haben meist eine sehr viel größere „menschliche“ Komponente: Entscheider auf höchster Ebene, die keine Technologiefolgeabschätzung betreiben, Entwicklungsabteilungsleiter die ihren Sitz wärmen und ansonsten Diktator spielen oder Kollegen die latent intellektuell überlastet oder unterfordert erscheinen und auf dumme Gedanken kommen…

Daraus entstehen Probleme, welche ich als Freelancer dann wieder lösen darf.

Als Entwickler hat man wenige Karrieremöglichkeiten um dies langfristig zu ändern: Entweder man gibt die Entwicklungstätigkeit auf, wechselt ins Projektmanagement, die Planungsabteilung oder wählt eine selbstbestimmte berufliche Zukunft, beispielsweise als freiberuflicher Berater (same crap, different payment).

In allen Fällen sind die Ressourcen beschränkt: Mehr als 40-50 Wochenstunden kann man auf Dauer nicht leisten, ohne dass die Produktivität und Qualität massiv einbricht. Als Angestellter sollte man dies auch einhalten, denn Überstunden werden nur selten bezahlt oder ausgeglichen. Auch als Freiberufler muss man sich beschränken, schliesslich bedeutet Krankheit den vollständigen Einnahmeausfall. Was liegt also näher, die Natur der IT-Sache auch auf das eigene Geschäftsmodell zu übertragen und statt Arbeitszeit ein Produkt zu verkaufen.

Idealerweise ein Produkt, dass regelmäßige Umsätze erlöst, sei es durch Wartungs-/Serviceverträge oder SaaS — letzteres ist in aller Munde, weil man — theoretisch — vollkommen losgelöst von Ort und Zeit Geld verdienen können soll. Eigentlich doch perfekt? Jein. Ich glaube insbesondere für Freelancer ist ein SaaS nicht der heilige Gral und Freelancing dürfte sowohl lukrativer als auch risikoärmer sein. Hier ein paar Gründe die gegen ein eigenes Produkt bzw ein SaaS-Produkt sprechen:

1. Investment-Risiko

In der Ruby-Welt ist Mike Perham kein unbeschriebenes Blatt, respektiert und sicher ein sehr, sehr fähiger Entwickler. Er hat sich vor einigen Jahren eines Problems angenommen und daraus eine kommerzielle Lösung entwickelt, die er mittlerweile für eine 500$ Gebühr vertreibt. Wie er in seinem Blog beschreibt, hat er 2 Jahre Zeit investiert und um die 100.000$ erlöst. Lassen wir mal den Aspekt ausser Acht, dass es kein SaaS ist, sondern ein simples hochpreisiges one-time-purchase Produkt: Zwei Jahre Lebens- und Arbeitszeit in ein Produkt zu stecken ohne zu wissen, ob man damit ausreichend Umsätze generieren kann, ist ziemlich riskant.

Wie bei jeder Unternehmensgründung stand hier sicherlich eine 90%-Wahrscheinlichkeit des Scheiterns dem Erfolg gegenüber, man muss also schon sehr viel Glück haben. Kann man das Projekt irgendwie zeitlich in eine andere Arbeitsform einbinden, sei es eine geregelte Halbtagsarbeit, Kinderbetreuung oder ein Studium, mag die Rechnung anders aussehen. Als Freelancer muss man ehrlicherweise entgangene Einnahmen für jede Stunde dagegenrechnen. Geht man von einem in Deutschland unteren marktüblichen Stundensatz von 75€ für Ruby-Freelancer aus, und glaubt man Mike Perham, dass er nur 700 Stunden investiert hat, dann stehen um die 50.000€ relativ sichere Einnahmen dem Projektrisiko gegenüber, also fast 70.000$.

2. Risikominimierung führt zu Überfokus

Das Risiko unter 1. kann man dadurch vermindern, wenn man schon direkt beim Start einen Kunden findet oder aus der beruflichen Erfahrung ein Problem bearbeitet, das man selbst bei einem Arbeitgeber/Freelance-Kunden gesehen hat. Im Idealfall hat man also sehr schnell einen Kunden und kann darauf aufbauen. Aber das ist auch gleichzeitig das Risiko: Sind die ersten Kunden nicht für den Markt repräsentativ, sondern nur für die bisherige berufliche Karriere, dann kann man das entwickelte Produkt möglicherweise auch nicht sehr viel häufiger verkaufen. Schlimmer noch, aus einer zeitbasierten Arbeit, für die man möglicherweise als Freelancer gebucht würde, hat man ein pauschal vergütetes Produkt gemacht und mehr oder weniger insgeheim einen Freifahrtsschein für Anpassungen ausgestellt (schliesslich handelt es sich ja um den bzw die ersten Kunden).

Worst case hat man sich also selbst weg-rationalisiert bzw. pauschal mit einem Bruchteil des möglichen abgefunden.

3. Nachhaltigkeit

Gerade bei Produkten mit wiederkehrenden Zahlungen, insbesondere bei SaaS, wird häufig ausgeführt, dass man damit eine Entkoppelung zur investierten Arbeitszeit erreichen könne. In vielen Fällen wird das nie stimmen: Man investiert vorab ein großes Zeitkontingent in eine riskante Sache und erhält erst/hoffentlich viel später eine Entlohnung. Vertrieb und Support, Änderungswünsche und Kundenfragen werden eine lange Zeit sehr viel Zeit ausmachen. Dass man einzelnen, nervenden Kunden sagen kann „geh woanders hin“, wenn etwas gegen die eigene Philosophie verstösst, ist ein Wunschtraum. Das kann man machen, wenn man 100er Kunden hat und ein dickes Umsatzpolster bei gleichzeitiger hoher Neukundengewinnung.

Als Freelancer suche ich mir einfach ein neues Projekt, wenn der Kunde scheisse ist. Thema erledigt.

So oder so wird ein SaaS oder ein Produkt allgemein immer unter massivem Innovationsdruck stehen, je größer die Nische und das Marktpotential der Anwendung ist, desto größer der Innovationsdruck und die Gefahr, dass Mitspieler im Markt amok laufen und die Umsätze versauen. Das gilt auch für Freelancing, mit der Einschränkung, dass schlechte Entwickler bei schlechten Kunden irgendwann aus beidem Geschichte machen.

Krankheit, Urlaub… all das mag nicht sofort 100% auf Einnahmen und Kundenbasis durchschlagen, aber vollkommen losgelöst ist man auch hier nicht. Spätestens wenn man Mitarbeiter hat, die man steuern und kontrollieren muss, hat man Probleme.

4. Marktgröße

Je größer der potentielle Markt, desto höher das Potential der Anwendung und desto höher der Innovations- und Konkurrenzdruck. Nichts neues. SaaS und one-time-Produkte leben von einer großen Anzahl an Verkäufen. Es ist also nicht realistisch eine Anwendung drei mal für 100.000€ zu verkaufen, eher 25 mal für 100€ —ohne eine große Kundenanzahl kommt man also nicht in schwarze Zahlen. Aber welche Produktideen sind so generisch, dass man sie sehr häufig verkaufen kann? Welcher Markt ist so homogen, dass man ihn mit einem Produkt erreichen kann? Die USA sind ein ziemlich homogener Markt in vielen Aspekten des täglichen Lebens mit ~250 Millionen Einwohnern. Europa dagegen sind verzettelte Kleinstaaten. Selbst wenn man eine Anwendung bspw für den deutschsprachigen Markt entwickeln würde, muss man die hier herrschende Technologierückständigkeit einrechnen, das Potential dürfte also maximal bei 5-10 Millionen Usern insgesamt liegen. So eine Marktpenetration erreichen aber selbst ein Player wie Dropbox (noch) nicht, trotz einer hochgenerischen Anwendung.

Die bekannten SaaS-Erfolgsgeschichten sind üblicherweise generische Dinge wie Zeiterfassung oder Projektverwaltung — Dinge die es in kürzester Zeit hundertfach gibt, teilweise auch kostenlos. Wer hier nicht schon massive Reichweite, beispielsweise als Blogger oder Konferenz-Speaker hat, wird hier schwer eine größere Kundenanzahl finden und halten können.

Jeder Konkurrent bedeutet internationaler Margen- und Innovationsdruck. Ich muss also zwangsweise sämtliche Einnahmen reinvestieren um möglichst lange durchzuhalten und ggf. dann „zu gewinnen“. Mache ich das nicht, bin ich in kürzester Zeit wieder aus dem Markt gefegt. Je stabiler ein Geschäftsmodell ist, desto angreifbarer wird aus Billiglohnländern, also von SaaS-Teams aus Indien, China oder Indonesien.

Von erfolgreichen, hochpreisigen Nischen-SaaS, die diesem Druck (noch) entgehen, habe ich bisher nur sehr wenig gehört. Das mag im Interesse der Anbieter sein, deutet aber auch auf eine sehr, sehr überschaubare Anzahl hin.

Fazit

Risiken minimieren, Gewinne optimieren. Ich halte es für unrealistisch aus Deutschland heraus nebenberuflich ein „großes“ SaaS für bspw. den US-Markt zu entwickeln. Der deutsche Markt ist viel zu klein und von dubiosen Kartellen kontrolliert (Telekom, Verlage, Samwerbrüder). „Kleien SaaS“ sind viel zu risikoreich und ungewiss, ausser wenn sie zu einem großen Teil neben der regulären Arbeit „herausfallen“, also auch recht übersichtlich in der Realisation sind.

Unterm Strich erscheint es lukrativer, als freiberuflicher Berater oder gutbezahlter Angestellter  (80.000€+ p.A) Geld zu verdienen und dies ordentlich anzulegen, beispielsweise in Immobilien oder Wertpapieren.

Mit der Zeit kommt damit auch eine Art „Grundeinkommen“ zustande, wenngleich man die Kosten und Risiken als Immobilienbesitzer nicht unkalkuliert lassen darf.

Und man setzt nicht alles auf eine Karte, nämlich „was mit Software im Internet“.

 

Ihr seht es anders? Ich habe was übersehen? Schreibt Kommentare!

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