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Auch ein Arschloch kann manchmal recht haben.

Ob es nun um Julian Assange oder Kimdotcom geht – beide sind in vielen Kreisen verhasst und haben in ihrem Leben auch viel polarisierendes getan, um es vorsichtig auszudrücken.

Aber wenn wir uns nicht selbst schaden wollen, müssen wir auch für die Rechte dieser beiden Menschen lautstark eintreten, selbst wenn wir sie persönlich hassen.

Beispiel 1: Kim Schmitz

Wer sich fünf Minuten Zeit nimmt und die Aktionen von Kim Schmitz in den 90ern, zusammen mit dem verstorbenen kriminellen Anwalt Gravenreuth, recherchiert, verliert vermutlich sofort jede Sympathie. Er hat indiskutable, asoziale Dinge abgezogen, viele Leute geblendet (lustigerweise meistens VIPs und Alt-Unternehmer, die auch heute innovation und Fortschritt bekämpfen).

Er hat sich mit Leuten aus dem CCC angelegt und vermutlich einige Biographien maßgeblich mitbeeinflusst oder zerstört. Er wurde mehrmals verurteilt und schrammte nur hauchdünn an einer längerern Haftstrafe wegen typischem kriminellen Bullshit vorbei.

Sein Uploadienst Mega-Upload war aber ein stink normaler Provider, der sich seine Kunden nicht ausgesucht hat. Auch wenn darüber Urheberrechtsverletzungen begangen wurden, so rechtfertigt es nicht das jahrelange Verfahren mit allen persönlichen Einschränkungen gegen ihn. Auch heute noch sind 1-Click-Hoster populär, und wer beruflich oder privat mit Unternehmen aus Mainland-China zu tun hat, weiss, wie verbreitet dort die Nutzung solcher Dienste ist.

Andere Dienste sind aus China durch die Zensur/Firewall der Behörden nicht zugänglich, spätestens wenn es um bezahlte accounts geht, fliegt eine Umgehung mittels VPN auf. Also sind die Wege beschränkt um Firmwareupdates, Datenblätter etc. westlichen Kunden bereitzustellen.

Aber schon bei der ersten Verhaftung von Schmitz in Neuseeland ging eine hämische Welle der Schadenfreunde durch das deutschsprachige Netz. Jetzt endlich müsse er für seinen schlechten Charakter büssen/“Karma is a Bitch“ (der englischssprachigen Version von „Jedem das Seine“) usw.

Und? Was ist passiert? Wir selbst werden 2019 durch das EU-Parlament und nationale Regeln zur Zensur und zu Uploadfiltern gezwungen. Halten wir uns nicht daran, werden wir wie Schmitz im Knast enden. Ich hoffe einigen Leuten bleibt das Lachen im Halse stecken, wenn sie begreifen, dass man Schmitz hätte verteidigen müssen – nur in dieser Sache – um sich selbst zu verteidigen

2. Julian Assange

Die Charakterzüge von Assange wurden in der Öffentlichkeit lange und breit diskutiert, jede Verfehlung während seines Hausarrestes in London wurden genutzt um ihn als Psychopathen darzustellen, der keine Sympathie verdient hat.

Ein One-Night-Stand in Schweden, bei dem ein Kondom geplatzt sei/oder absichtlich zerstört wurde, dient bis heute als Grundlage eines öffentlichen Vergewaltigungsvorwurfes.

Als ob zwei erwachsene Menschen, die sich nach einem Tag schon zu einer sexuellen Handlung hinreissen lassen, die Sache nicht unter sich klären können? Die Anschuldigerin ist heute Diakonin, das Verfahren wurde 2017 eingestellt.

Assange wurde mittels Haftbefehl zu einer Aussage(!) gesucht, kam in UK gegen Kautionsauflagen frei und flüchtete dann in die Botschaft. Dadurch verletzte er die Kautionsauflagen. Und nur deshalb wurde er jetzt festgenommen – obwohl das ursprüngliche Verfahren eingestellt worden ist.

Grade im SJW-Umfeld des CCC wurden die Anschuldigungen als Tatsache betrachtet und die Reputation u.a. von Assange jahrelang beschädigt. Weil er privat ein Schwein sein soll, wären auch alle seine „professionellen“ Taten scheisse. Man unternahm alles um ihm alle Rechte abzusprechen.

Nachdem also jetzt die Festnahme erfolgt ist und die eigentlichen Anschuldigungen aus den USA langsam duchsickern, sieht man auch hier, wie das Bauchgefühl getäuscht hat. Und man nicht einfach bei Aussage-gegen-Aussage für eine Partei Position ergreifen kann, solange die Beweislage unklar ist. Im Zweifel immer für den Beschuldigten.

Ob jetzt einige Menschen realisieren, wie dämlich sie sich verhalten haben? Oder werden sie weitermachen und Assange „unjournalistische“ Arbeit unterstellen und dann auch die Argumente der US-Anklage übernehmen?

3. Ola Bini

Ola Bini ist ein schwedischer Informatiker, der vor ca 10 Jahren stark in JRuby involviert und von 2007 bis 2017 bei der renommierten Software-Consultancy Thoughtworks beschäftigt war. 2008 war er zu Gast auf dem Google Campus und stellte das Projekt dort vor, weiterhin engagierte er sich danach für Privacy und Encryption Tools. Nach seiner Thoughtworks-Zeit zog er nach Equador und arbeitete dort für ein IT-Privay-orientiertes NGO und wurde vorgestern am Flughafen festgenommen. Man unterstellt ihm, an der Aufdeckung einer Korruptionsaffäre der Präsidentenfamilie beteiligt zu sein und im Kontakt zu Assange zu stehen.

Was sagt der CCC dazu? Wo bleibt die Internationale Empörungswelle? Es gibt sie nicht. Während in den Beispiele 1 und 2 zumindest eine persönliche Abneigung im Spiel ist, dürften viele Leute hier keine Probleme mit Bini gehabt haben oder ihn nicht einmal kennen.

Und genau das ist das Problem: Letztlich wird sich für dich vermutlich keine Sau in Deutschland die Hände schmutzig machen. Kein CCC, keine Partei, keine sonstige Gruppe wird sich ohne wenn und aber für dich Einsetzen. Viel zu groß die Angst vor Shitstorm oder persönlichen Nachteilen. Bei uns gibt es keine ACLU die sich auch für seltsame Personen einsetzt, sofern deren Bürgerrechte massiv verletzt werden.

Bürgerrechte sind nichts wert, wenn sie nicht für alle Bürger gelten und für alle Bürger verteidigt werden.

Schlusswort:

Es ist abzusehen, dass aktuell eine massive reaktionäre Welle gegen „das Internet“, seine Struktur und Nutzer im laufen ist. Vom Uploadfilterzwang, Beugehaft zur Passwort-Erpressung, Landesmedienanstalten gegen YouTuber die darüber berichten etc. – alles läuft in nur eine Richtung.

Und ich lege mich fest: Spätestens in 3 Jahren wird auch der CCC-Congress von Einsatzkräften gestürmt werden, es werden Personalien erfasst, Hardware beschlagnahmt und sicher auch einige Leute in Gewahrsam genommen werden.

Uploadfilter sind universell, die massiven Urheberrechts- und Jugendschutzverletzungen durch „offene FTP-Server“ beim CCC-Congress werden genutzt werden um den Verein, zumindest aber die Veranstaltung, zu bekämpfen. Ob es dann wohl einen Aufschrei geben wird? Sicherlich wird die Polizei auch Drogen und Kinder-/Jugendpornografisches Material finden, bei 15.000+ Teilnehmer nicht so unwahrscheinlich. Und vermutlich werden auf einigen FTPs auch Snuff-Videos der IS oder des Massakers in Christchurch liegen und moralisch in der Öffentlichkeit das Durchgreifen rechtfertigen.

Wird dann jemand noch das Maul aufmachen?

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