Triggerwarnung: Advocatus Diaboli
Die Versorgung mit Breitband-Internet in Deutschland ist ein Elend, in diversen Rankings liegt unser Land weit hinten, insbesondere wenn man die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und den Reichtum unseres Landes einbezieht. In der Öffentlichkeit ist die Schuld klar: Die Telekom.
Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit, weswegen ich versuchen werde, das ganze hier mal etwas ausführlicher zu Beschreiben:
Geografische Situation und Agglomeration in Deutschland
- Circa 50% der Einwohner leben in einem von 22 Ballungsräumen/Metropolregionen.
- Bevölkerungsdichte Deutschlands:
- Verfügbares Einkommen:
Wir sehen, dass sowohl Bevölkerungsdichte als auch das verfügbare Einkommen pro Person unregelmäßig verteilt ist. Das ist bei einem Flächenland wie Deutschland insbesondere mit der Geschichte der deutschen Teilung und des DDR-Unrechtsregimes nicht verwunderlich.
Wirtschaftlichkeit von netzgebundenen Versorgungsdiensten
Letztlich ist es relativ egal, ob man ein Strom-, Wasser, Erdgas- oder Telekommunikationsnetz aufbauen und betreiben möchte: Zwar unterscheiden sich Kosten, die Eigenschaften der übertragenden Produkte und die „variablen Rohstoffkosten“ im Einkauf, der Rest ist aber sehr, sehr ähnlich. Das ganze teilt sich in zwei Bereiche auf:
Netzkosten
- Bau und Betrieb von überregionalen Backbone-Netzen großer Kapazität
- Bau und Betrieb von regionalen Verteilnetzen
- Erschliessung einzelner Gebäude/Kunden
Rohstoffkosten
- Beschaffungskosten von Strom/Wasser/Erdgas/Bandbreite
Während es also für den laufenden Betrieb notfalls ausreichend ist, die variablen, durchgeleiteten Produkte kostendeckend zzgl. den Netzinstandshaltungskosten zu liefern, so fallen für den einmaligen Ausbau hohe Vorabkosten an.
Diese Investitionen müssen sich rechnen und zwar in einem überschaubaren Zeitraum, denn Netze veralten und müssen erneuert werden: Ähnlich wie Häuser und sämtliche Wirtschaftsgüter gibt es auch hier eine (wirtschaftliche) Lebensdauer, so sind z.B. Computer nach drei Jahren und Glasfaserleitungen über 20 Jahren abzuschreiben.
Konkretes Beispiel: Das TK-Unternehmen SchnellTel investiert 100 Mio € in eine Glasfaserinfrastruktur. Diese Ausgabe ist steuerlich über 20 Jahre vom Gewinn absetzbar, d.h. (vereinfacht) jedes Jahr 5 Mio €.
Doch woher nimmt SchnellTel die 100mio € dafür? Kein Unternehmen verfügt über solche Barreserven, die heute negative Strafzinsen kosten würden. Man muss also entweder das Kapital aus anderen Geschäftsbereichen abziehen – was man nur machen wird, wenn man sich dadurch eine höhere Rendite verspricht – oder man besorgt sich das Kapital am Kapitalmarkt oder bei Banken. Jeder Kredit birgt ein Risiko und ein Risiko muss bezahlt werden: Hier fallen je nach Bonität also Zinszahlungen an, die im Bereich von 4-10% pa liegen.
SchnellTel muss also in 20 Jahren die 100mio€ zuzüglich der Kapitalkosten wieder verdienen.
Maximale Rendite pro Anschluss/Kunde…
Ein durchschnittlicher Telefonanschluss mit Internet kostet in Deutschland nach meinen Informationen um die 40€, günstige DSL-Anschlüsse sind bereits für 20€ zu haben. Da wir in den letzten 20 Jahren keine Kostensteigerungen sehen konnten, ist also davon auszugehen, dass die Preise auch in den nächsten Jahren nicht steigerungsfähig sein werden. Machen wir also eine Rechnung auf:
Low: 20€ x 12 Monate x 20 Jahre = 4800€
Premium: 40€ x 12 Monate x 20 Jahre = 9600€
Im Gegensatz zu Strom, Gas und Wasser-Anschlüssen entfällt bei TK-Anschlüssen die Möglichkeit über eine starke Nutzung Rendite zu erzielen: Sprach und Datenflatrates sind Standard, Auskunftsdienste, Festnetz-SMS etc spielen keine Rolle mehr. Dafür können TK-Unternehmen versuchen, die Bandbreite/Gespräche ihrer Kunden möglichst kostengünstig zu routen, z.B. möglichst viele Dienste netzintern halten, durch günstige IP-Uplinks und Terminierungspunkten von Auslandsgesprächen).
… und was am Ende davon übrig bleibt:
Subventionierte oder gestellte Hardware wie Router/Modem, Splitter, Kabelverzweiger, Gegenstelle fressen natürlich auch einen Teil ebenso wie variable Verbrauchskosten (Gespräche, Bandbreite) sowie Service (Kundendienst) und Verwaltung (Rechnung, Mahnung…). Router sind meines Wissens über 5 Jahre abzuschreiben, aufgestellte Schaltschränke vermutlich über 20 Jahre.
Router für DSL: 100€ = 100/5 Jahre = 1€ /Monat
Router für VDSL: 200€ = 200/5 Jahre = 3€ /Monat
Nehmen wir also folgendes an:
Variable Kosten: 5-15€/Monat
Router: 1-3€/Monat
Kosten Gegenstelle: 1-3€/Monat
Verwaltung: 3€/Monat
Service 1€/Monat
= 11€ bis 25€/Monat
Bleiben also:
Low: 9€ x 12 Monate x 20 Jahre = 2160€
Premium: 15€ x 12 Monate x 20 Jahre = 3600€
Das sind also die maximal möglichen Einnahmen ohne Berücksichtigung von Netzausbaukosten und Kapitalkosten.
SchnellTel hat hierfür 100mio€ am Kapitalmarkt aufgenommen, muss dafür jährlich 10% Zinsen zahlen und nach 20 Jahren die 100mio€ zurückbezahlen (oder refinanzieren), somit also pro Jahr 10 Millionen € an Zinszahlungen und 5% an „Tilgung“ erwirtschaften.
Wie viele Glasfaseranschlüsse kann man für 100mio€ realisieren? Die Ausbaukosten dürften angenommen im Bereich von einmalig 20.000€ liegen, wenn man Planung, Erdarbeiten und den Ausbau der Uplinkanbindungen von 1G oder 10G auf mehrfach-100G berücksichtigt.
Somit käme man auf 5000 Anschlüsse für 100.000.000€.
Aber wir haben oben gesehen, dass man in 20 Jahren pro Anschluss zwischen 2160€ und 3600€ einnehmen kann, aber die einmaligen Ausbaukosten im Bereich von 20.000€ liegen.
Schlimmer noch: 5000x 2160€ = 11 mio €/Jahr – Das reicht also gerade so um die Kapitalkosten(!) zu bezahlen ohne die 100mio€ jemals wieder zu erwirtschaften. Das Unternehmen würde also auf Dauer keinen Überschuss mehr realisieren können, wäre also am Kapitalmarkt auch nicht mehr in der Lage, weitere Kapitalmittel zu diesem Zinssatz aufzunehmen: Wer kein Geld verdient und keine Rücklagen hat, ist anfällig, d.h. Risiko. Risikoübernahme muss aber bezahlt werden, weswegen die Zinssätze steigen (oder man überhaupt keine Mittel mehr akquirieren kann).
Achja, dass die Router nach 5 Jahren zu ersetzen sind, haben wir natürlich „vergessen“, dass Energie- und Personalkosten inflationsbedingt steigen werden, ebenso.
Und das beste: Die Konkurrenz haben wir auch nicht berücksichtigt!
Es ist also unmöglich, mit solchen Kosten wirtschaftlich einen Ausbau vorzunehmen. Man kann sich Rosinen-Gegenden suchen, bei denen die Ausbaukosten pro Anschluss durch eine hohe Dichte geringer sind (Großstädte), oder die Tiefbaukosten etc. durch Subventionen von Bund, Land oder Gemeinden übernommen werden. Das passiert auch schon, führt aber meistens nur zu einem VDSL2-Ausbau, der in ein paar Jahren auch am Ende angelangt ist.
Querfinanzierung / Fazit
Nun ist es ja nicht so, dass Stadtwerke, Kabelgesellschaften und regionale Telco-Anbieter nicht schon Glasfasernetze aufgebaut haben, meist in solchen städtischen „Rosinenregionen“ bei denen grundsätzlich Erdarbeiten anstanden und man somit die Erschliessungskosten geringhalten konnte (Erneuerung der Wasser/Gas/Strom-Versorgung oder Gehwege). An den Beispielen HLk omm Leipzig und M-Net München sieht man aber auch sehr gut, dass dies eine einmalige Sache war, d.h. einmalige Chancen wie Erneuerungen von Kanalisation oder Stromnetz wurden genutzt, nicht erreichbare oder davon nicht betroffene Gegenden werden aber auch nicht weiter erschlossen.
Weiterhin wird oft versucht, den Hausanschluss abhängig von langjährigen Verträgen zu machen. Zwar sind die Verträge mit den Endkunden auf maximal zwei Jahre begrenzt, nicht jedoch für Kabel-TV-Anschlüsse mit Hausverwaltungen/WEGs. Somit kann man die Einnahmen pro Anschluss weiter steigern, ohne signifikante Mehrkosten zu haben. Handelt es sich dann auch noch um ein Hochhaus, könnte sich der einmalige Anschluss sogar recht schnell tragen. Geringe Anschlussdichten (auf dem Land) und geringe Möglichkeiten mit Kabel-TV Zusatzeinnahmen zu erzielen, machen viele Regionen aber extrem unwirtschaftlich (vmtl weit über 20.000€/Anschluss).
Eine weitere Möglichkeit wäre für Geschäftskunden oder Premium-Privatkunden höhere Bandbreiten zu höheren Preisen bereitzustellen, also dadurch auch das Durchschnittspreisniveau wieder anzuheben: In der Schweiz liegt dies z.B. deutlich über den 20-40€/Monat pro Anschluss. Da die variablen Kosten nicht das entscheidenden sind, wären z.B. 1/1 Gbit/s für 100-150€/Monat sicherlich ein gutes Geschäft, das aber bisher von nahezu keinem Telco in Deutschland umgesetzt wird. Im Gegenteil: Viele Telcos bieten für Geschäftskunden (SOHO/KMU) deutlich geringere Bandbreiten an, als für Retail-Endkunden.
Wer mehr braucht, kriegt Wucherangebote im Bereich von mehreren tausend Euro pro Monat.
Das TK-Preisniveau ist zu gering um die hohen Ausbaukosten plausibel darzustellen, TK-Anbieter fokussieren sich auf Großkunden und den Low-End-Massenmarkt, verlieren so aber auch die Chance, sich den Ausbau durch SOHO/Premiumkunden finanzieren zu lassen.
Ob und wie viele Kunden solch ein Premiumangebot wahrnehmen würden, bleibt offen: Nur wenige Menschen in Deutschland verdienen mit ihrem Internetanschluss Geld, setzen ihn also produktiv ein. Stattdessen wird konsumiert, das Netz als reines Unterhaltungsmedium gesehen, so wie ein Sky-Pay-TV-Abo.
Homeoffice-Arbeitsmöglichkeiten werden kulturell sowohl von Links wie von Rechts bekämpft, auch die Liberalen sehen darin oft nur eine Gefahr des Mittelstandes, nicht eine Chance, dass Menschen eine erfolgreiche Selbständigkeit aufbauen und sich unabhängig von Staat und Arbeitgeber machen können.
Es gibt auch keine Medienunternehmen die ein Interesse an einer Co-Finanzierung des Netzes hätten, ein Erpressungsversuch diverser Telcos, sich von US-Konzernen wie Netflix „Premium-Bandbreite“ bezahlen zu lassen, ist vorerst gescheitert („Zwei-Klassen-Internet“). Kein in D aktiver Telco hat ein signifikantes Online-Mehrwert-Geschäft, dass den reinen Accessbereich quersubventionieren könnte, E-Commerce, Audio- und Videoportale der Telekom sind allesamt gescheitert, Vodafone und O2 haben dies nie ernsthaft versucht.
Unter dem Gesichtspunkt, dass vermutlich 95% der Internet-Anschlüsse für den reinen Konsum genutzt werden, also für Youtube, Facebook, Netflix und anderen Quatsch, so stellt sich auch die Frage, ob man hier wirklich Steuermittel versenken sollte.
In vielen Teilen des Landes hat sich der Staat schon bei existenziellen Dinge wie z.B. ÖPNV zurückgezogen, wer dort lebt, muss schauen wie er herumkommt oder sich ein Auto finanziert. Warum soll der Staat dann ausgerechnet dort Millionen in eine Glasfaser-Erschliessung stecken? Wo sind die Prioriäten? Was muss ein Staat leisten und was sind die Bürger und Unternehmen bereit und in der Lage dafür zu bezahlen?
Die Fussball-EM hat meines Wissens ARD und ZDF 100mio € gekostet…
[…] den Blogposts über den Glasfaser-Netzausbau und Internet im ICE habe ich bereits einiges zur miserablen Breitbandsituation in Deutschland […]
Interessant, dass die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland in einer der 22 Metropolregionen leben. Ich möchte für mein Haus ebenfalls zukünftig einen Glasfaser-Anschluss haben. Hoffentlich kann mir ein Unternehmen für Informationstechnik behilflich sein.