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Wirtschaftlichkeit und Web-Entwicklung

Nichts veränderte sich in den letzten Jahre so schnell und radikal wie der Bereich Webentwicklung. Zuerst Perl, dann PHP, dann etwas Ruby, heute JavaScript. Jedem Technologiesprung wurden diverse Gründe nachgesagt und in vielen Fällen war auch relativ schnell erkennbar, dass sich die neuen Tools im Einsatz auszahlen: Schnellere, bessere Entwicklung, optimierte Betriebskosten. Gerade der Hype um Ruby on Rails war auch sehr stark von Entrepreneurship geprägt, also dem Gründergeist ein wirtschaftlich tragbares Unternehmen aus eigenen Kräften aufzubauen, so wie es der „Erfinder“ DHH tat.

Der Schritt zu JavaScript im Frontend wurde hingegen mit nicht schlüssigen Begründungen gepusht: Alles asynchron, schnellere Ladezeiten, „eine Sprache für alles“, mehr Traffic mit weniger Hardware erreichbar – alles nicht wirklich messbar oder für die wenigstens Unternehmen relevant, ausser man hat die Größe von Google oder Facebook. Der mit dem Wechsel im Frontend einhergehende Wechsel im Nutzerverhalten in Richtung Mobiltelefone und Tablets inklusive diverse Appstores („Walled Gardens“) hat die wirtschaftliche Bedeutung des Webs als Plattform aber gleichzeitig sinken lassen:

Ende der 1990er war es schick, sich Homepages zu bauen und man wollte jedes kleine Unternehmen dazu bringen, sich im Web „zu präsentieren“, direkt Kunden zu akquirieren, Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen – ohne Mittelsmänner zu bezahlen. Heute ist das alles Geschichte, man sieht zwar noch vereinzelt Websites kleiner Unternehmen und gerade Mittelständler haben auch weiterhin ihre „Präsenzen“, aber es sind reine Marketing-Ausgaben ohne Nutzwert, so wie ein Unternehmensbroschüre oder Sponsoring beim Volksfest. Wer Informationen oder Angebote will, „soll halt anrufen“. Die wirklichen E-Commerce-Umsätze werden über die Teilnahme an Bieterplattformen (z.B. AdWords, „MyHammer“, aber auch Amazon und eBay) gemacht, durch Kontingente großer Kunden oder durch mühsame direkte Akquise — wie früher eben auch. So gesehen sind die Unternehmen heute noch viel mehr abhängig von Mittelsmännern und den großen Spielern – früher waren das eben die „Gelben Seiten“ – da kam man mit Pauschalen davon, nicht mit Umsatzprozenten wie im Onlinebereich.

Statt jedem Bürger und jedem Unternehmen einen direkten Zugang zum Markt zu ermöglichen, hat sich nur eine andere, digitale Form des Mittelsmannes etabliert und kassiert ab:

So vergessen fast alle Frontend-Leute, dass am Ende hinter einem Tool-Einsatz auch ein entsprechender Mehrwert liegen muss, nicht nur einfach die „coolness“ irgend ein von Dritten entwickeltes Tool oder Plattform einzusetzen. Am Ende des Jahres muss ein Gewinn realisiert werden und ausufernde Ausgaben in Personal oder Technik stehen dem entgegen. Was Google, Apple, Facebook oder Amazon einsetzen oder durch ihre Millionen bauen und veröffentlichen ist noch lange nicht im Sinne der Allgemeinheit, eines Software-Unternehmens, eines Beraters oder eines einzelnen Entwicklers. Das investieren von bezahlter Arbeitszeit für OpenSource-Projekte in den Dimensionen von Google/Facebook ist schlicht eine aktive Einflussnahme auf die zukünftige Entwicklung des Marktes. Jede Zeile Code für Go, v8, Angular, React sind mit Werbegeldern bezahlt, denn nur damit finanzieren sich Google und Facebook!

Keiner dieser Branchengrößen möchte mit den veröffentlichten Technologien neue Konkurrenten schaffen, sondern eine Generation von Zuarbeitern, Nutzern, Abhängigen, die brav die Zukunft der eigenen Marktdominanz sichern. Das gilt natürlich auch für die App-Entwicklung für iOS oder Android, so wie für die ERP-Systemhäuser und Add-On-Entwicklungen für SAP. Anderer Bereich, selbes Geschäftsmodell.

Letztlich ist es das genaue Gegenteil der Entwicklung der 80er und 90er Jahre: OpenSource startete damals als Idee, eine freie Alternative gegen closed-source Monopole zu schaffen und einen möglichst bereiten Zugang zu Technologien zu ermöglichen. Heute sind die monopolistischen Unternehmen schlauer und veröffentlichen so viel OpenSource-Software und betreiben Projekte im eigenen Interesse, dass neutrale Projekte an Entwicklern, Nutzern und Relevanz verlieren. Ob Swift, Go, Angular, React, selbst JavaScript (v8, Chrome), Kubernetes: Man treibt den Markt vor sich her, natürlich alles quelloffen und „OpenSource“ aber mit Geldern der beteiligten Unternehmen finanziert – inklusive der „vorgelebten Vision der Zukunft“.

Man kann sogar noch einen Schritt weitergehen: Das Frontend liegt heutzutage im Quellcode vor (minified, uglified… trotzdem in einer Scriptsprache), das Backend wird auf AWS Lambda oder einem generischen API-Backend gehostet. Das Frontend ist damit nicht nur inhaltlich sondern auch funktional 100% durchsuchbar und mit AI auch logisch analysierbar (mit der ausreichenden Leistung, die Google hat, aber den Markteintritt für andere Suchmaschinen massiv erschwert), das Backend oftmals nur generisch und in Händen einiger weniger Cloudprovider betreibbar. Microsoft war das erste „Opfer“, dass nur noch davon lebt, weil es einen ausreichend großen Bestandskundenschatz („Burggraben“) haben der nicht einfach abhauen kann.

Diesen „Microsoft“-Luxus hat keiner von uns „kleinen“: Welchen Wert generieren die Frontend-Entwickler aber überhaupt noch? Es gibt keinen Bestandsschutz und keine Einflussnahme auf die Zukunft. Leben sie also nicht einfach nur davon, dass ihre Kunden noch nicht realisiert haben, dass sie keinen messbaren Wert schaffen, weil responsible websites mit client-side apps auch nicht mehr Umsatz bringen als traditionelle JEE-Webapps mit server-side Rendering? Das Shop-Designs für 99% der E-Commerce-Unternehmen irrelevant geworden sind, weil man ausserhalb der Plattformen von Amazon, eBay und co. eh keine Chance mehr hat? Dass dank der extremen Volatilität die Technologien allesamt nach 6-12 Monaten veraltet sind und portiert werden müssen?

Entwickler sollten mit dem Gedanken einen monetären Mehrwert zu schaffen morgens aufstehen und abends ins Bett gehen. Nur so wird man auf Dauer seinen Job und seine Kunden halten können. Wer das auf Dauer nicht garantieren kann (sprich: jeder), sollte jedes Tools und jeden Trend hinterfragen, aufs Geld achten, sich ggf. umorientieren und so viel Geld wie möglich in Aktien stecken: Entweder in die oben genannten Unternehmen und/oder in etablierte Dividendenzahler.

Unter diesen Gesichtspunkten finde ich es moralisch auch sehr zweifelhaft, eine große Zahl (Nachwuchs, Branchenfremder, Diversity/Integrationsmaßnahmen) für diesen Bereich zu begeistern und auszubilden. Meiner Meinung nach ist da so, als ob man in den 1990er Jahren noch tausende neue Fernsehtechniker ausgebildet hätte…

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