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Zensur, Wirtschaftlichkeit und Pornografie.

Die Mikroblog-Plattform Tumblr verbannt alle Blogs mit NSFW (not safe for work)-Inhalten ab 17.12.2018 von der Plattform. Die Hintergründe sind einerseits klar und andererseits vage: Tumblr wurde 2007 in New York gegründet und 2013 von Yahoo! übernommen, welches dann 2017 in Oath aufging. Oath besteht aus den operativen Assets von AOL und Yahoo!, welche vom Telefonkonzern Verizon 2015 bzw. 2017 übernommen wurden.

Tumblr war im Gegensatz zu andere Social Media Networks ziemlich divers, unreguliert und anonym. Solange nicht Gesetze verletzt wurden, konnte ziemlich alles veröffentlich werden, was dem Geschmack vieler Menschen und Regimen der Welt nie gepasst hat. Deshalb landete Tumblr schon vor Jahren auf den Filterlisten diverser „Schurkenstaaten“.

Die Monetarisierung von Tumblr war nur werbegetrieben und relativ überschaubar, weshalb der Verkauf an Yahoo! doch für Verwunderung sorgte: So viel Geld für eine schwer zu vermarktende Blog-Plattform? 


Schon kurze Zeit später schien Yahoo! den Kauf auch bereut zu haben und versuchte, pornografische Inhalte zu löschen. Als eine „Bastion der Meinungsfreiheit“ sind bzw. waren dort viele non-mainstream-Inhalte zu finden, von LGBTQ über Sexworker, Models, Fotografen oder auch privaten Photoblogs mit mehr oder weniger eindeutigen Inhalten, darunter auch vermutlich alle möglichen Fetische inkl. BDSM.

Für Aussenstehende waren oftmals einige Inhalte nur schwer nachvollziehbar, aber keiner wurde zum Abruf gezwungen und so schüttelt man dann halt den Kopf und klickte weg. Jeder nach seiner Façon…

Aus wirtschaftlicher Sicht sind solche Communities aber sehr schwer zu vermarkten, weil den Werbern immer auch eine inhaltliche Verantwortung unterstellt wird bzw. man seine teuer aufgebaute Marke/Image nicht durch Werbung im Rotlichtviertel vermeintlich beschmutzen möchte. Somit verdiente Tumblr hier wenig/kein Geld, die Nutzerzahl (es gibt Gerüchte die sagen, dass 17% des Traffics aus solchen Blogs hervorging) dürfte beim Verkauf an Yahoo aber sicher den hohen Kaufpreis mitbedingt haben.

Was nun vor einigen Wochen passiert ist und welche Folgen das hat, ist nicht ganz klar. Verschiedene Quellen berichten, die Tumblr iOS App sei von Apple aus dem AppStore geworfen worden. Manche Medien schreiben von „Kinderpornografie bei Tumblr“, vielleicht ist aber auch eher die prüde US-Sicht gemeint, „Kinder vor Pornografie zu schützen“. Ob moralisches Totschlägerargument oder Zensur – es ist unklar.

Nun ist das bei uns in Deutschland noch viel schlimmer, weil schon das zugänglich machen von Pornografie durch Unterlassung einer Altersprüfung, euphemistisch als Jugendschutzsystem bezeichnet, eine Straftat darstellt. In den USA ist das gesetzlich bisher nicht so bzw. eine einfache Eigenauskunft im Sinne von „Ich bin über 18/21“ reichte aus. 

Nicht jedoch für Apple, das seit dem Start der AppStore-Plattform peinlichst Inhalte prüft und Apps entfernt, die die strengen Richtlinien nicht erfüllen. In Deutschland traf es die BILD-Zeitung mit ihren damals noch barbusigen Damen auf Seite 3. Es dürfen in App-Store-Apps keine blanken Brüste gezeigt werden! Auch andere digitalen Publikationen mussten ihre digitalen Magazin-Cover entsprechend anpassen: Barbusige Frauen waren  oder sind auch bei Stern und Spiegel alle paar Monate präsent gewesen. Im Diskurs über ein zeitgemäßes Frauenbild und die billige Köderei mit Sex (sex sells) wurden die besagten Inhalte weitestgehend abgeschafft, aber auch die Zensurmacht von Apple nicht weiter erörtert. 

Schleichend hat sich eine ganze Generation nun an das prüde Weltbild von Apple, aber auch von Facebook und Instagram gewöhnt. Das zeigt sich auch anhand einer bizarren Gerichtsposse, die vor 15 Jahren so undenkbar gewesen wären.

Einzig auf Tumblr und bei Reddit waren freizügige Dinge bisher einigermaßen geduldet auf einer „Mainstream“-Plattform:

Reddit traf es vor Monaten schon: Zwar waren NSFW-Inhalte (subreddits) immer schon mit einem Warndialog versehen („Ich bin über 18!“) und die iOS App zeigte diese Inhalte standardmäßig nicht an. Jedoch gab es die Möglichkeit in der App diese Anzeige anzuschalten. Das hat Apple mittlerweile verboten. 

Um solche Inhalte in der iOS-App ansehen zu können, muss man sich über einen Desktop-Browser bei Reddit einloggen und dann dort in der Accountverwaltung die Freigabe erteilen. Ob das auf Dauer der Überprüfung durch Apple standhält, bleibt fraglich. Die Reddit-App ist jedoch weiterhin im Appstore.

Und was bringt das jetzt? Welche Folge hat das?

Schaut man sich die Alexa-Ranglisten der populärsten Websites an, dann sind Mainstream-Hardcore-Porno-Websites wie YouPorn und PornHub sehr weit vorne. Diese kommerziellen Plattformen haben sich über die Jahre die größten Porno-Filmproduzenten zusammengekauft und legen den Fokus auf absolute Reichweite, also den Mainstream. Es wird ein zweifelhaftes Bild der Sexualität vermittelt, weder „normale Sexualität“ und Körper noch konsensuale Beziehungsformen kommen dort zur Geltung. Es geht um das möglichst vulgäre Darstellen von Sex. Da das bisherige Porno-Geschäft mit VHS/DVD lange kollabiert ist, kontrolliert auch hier mehr oder weniger ein Unternehmen, wer was und wie produziert und vermarkten darf/kann. Alle anderen werden entweder juristisch durch den Staat verfolgt und können sich ein Ausflaggen in liberale Jurisdiktionen nicht leisten, oder scheitern schlicht daran, ausreichend zahlende Kunden zu halten. 

Das ganze halt also einen Schwarzmarkt-Effekt wie bei der Prohibition von Cannabis (oder zeitweise Alkohol): Man treibt die Kundschaft und Produzenten aus dem vielseitigen Markt in dunklen Gassen, wo Mafia-Clans ihre Monopole aufbauen und brutal verteidigen. 

Das fällt auch dem SPD-Nachwuchs in Berlin auf, der etwas naiv die Förderung (Produktion und Verbreitung) hochwertiger, „realitätsnaher“  Pornofilmen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen forderte.

Man könnte aber auch zu folgendem Schluss kommen:

Realitätsnahe Pornografie mit Respekt gegenüber den Beteiligten, deviante Nischenpornografie oder „Girl Next Door“-Aktfotos sind in Deutschland auch und dank der SPD nicht legal zu verbreiten und für große internationale Web-Konzerne allgemein ein Unternehmensrisiko. Das „NetzDG“ von Heiko Maas zieht explizit auch auf den „Jugendschutz“ ab im Sinne von Verhinderung der Zugänglichmachung von sexuellen Inhalten für alle unter 18!

Der freie Markt wurde einerseits durch staatliche Überregulierung, andererseits durch die Sektor-Monopole von Apple, Facebook und Google zerstört, aber jetzt sind auch die geduldeten nichtkommerziellen Inhalte auf der Abschussliste!

Auch WordPress.com erlaubt meines Wissens keine NSFW-Inhalte, Google’s Blogger hat 2015 den Stecker gezogen. Tumblr war die einzige Ausnahme.

Aus dem freien Web wurde ein Schlachthof, bei dem die Kundschaft exakt einen Weg zur Monetarisierung durch Werbung zu nehmen hat. Und den „konservativen“ reaktionären politischen Kräften (inkl. den Sozialisten) ist das recht. Sie wollen kein modernes Weltbild, keine neue Komplexität durch Diversifikation oder möglichst große persönliche Freiheiten zulassen: Sie wollen entweder ihr faschistoides Menschenbild verbreiten oder anderseits das kollabierende Schneeballsystem Sozialstaat (Rente, Krankenversicherung) so lange wie möglich am Leben halten, bis ihre Wählerschaft (primär Ü55) friedlich eingeschlafen ist.

Auf den Schulhöfen wird das nichts ändern, auch in Zukunft werden dort sexuelle Inhalte aus Pornos getauscht und verbreitet werden, während die Gesellschaft moralisch wieder drei Schritte zurückgeht.

Willkommen in den 1950ern!

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