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Menschen verstehen Innovation nicht.

Die letzten 1,5 Jahre habe ich mich sehr viel mit Elektromobilität beschäftigt, was für Fahrzeuge gibt es, wie werden sie aufgeladen, wie verbreitet sind Ladesäulen und so weiter. Um es kurz zu machen: Es gibt neben dem normalen Schuko noch drei weitere Ladestecker, die unterschiedliche Ladegeschwindigkeiten unterstützten und entweder Wechsel/Drehstrom oder Gleichstrom liefern. Das Auto wandelt jeweils den Drehstrom in Gleichstrom für die Akkus um, oder lässt den Gleichstrom gleich auf das Batterieladegerät los, was schneller ist.

Und es gibt aktuell alleine in Deutschland über 14.000 Ladestandorte mit zusammen über 40.000 Ladepunkten (was quasi einem Anschluss entspricht).

Foren, Websites und die mediale Berichterstattung ist voll mit dem Gejammere, wie komplex das alles noch sei. Sooo viele verschiedene technische Details, Ladekarten, RFID-Tokens, Smartphone-Apps und dann die ganzen unterschiedlichen Tarife die mal nach Vorgang, Zeit, Energiemenge oder einer wilden Kombination daraus abrechnen!

Es müsse endlich eine einheitliche Lösung her, ein Steckertyp (CCS), ein Ladekartensystem… am besten aber auch einfache Kreditkartenakzeptanz. Der Gesetzgeber sei gefragt und so weiter… dringender Handlungsbedarf!

Dabei ist der Markt noch in den Kinderschuhen, die Zahl an E-Autos ist noch prozentual gering, Ladesäulen werden bisher aus Goodwill oder PR aufgestellt, weil eine Gewinnerzielung illusorisch erscheint. Das hängt auch mit den noch immer hohen Anschaffungskosten zusammen. Während eine günstige Wallbox für zuhause 500-1000€ kostet, so sind leistungstechnisch identische, vandalismusgesicherte Ladesäulen für den öffentlichen Einsatz inkl. Abrechnungsbackend im Bereich von 15.000€ zu verorten (Gleichstrom-Schnellader ab 50.000€), wovon Bund und Land meistens mindestens 50% der einmaligen Kosten übernehmen.

Ja, wir verbrennen Milliarden an Steuermittel in Infrastruktur mit ungewisser Zukunft, andererseits sind fast alle Probleme oder Wünsche hinsichtlich einer Vereinheitlichung reine Software-Themen und vermutlich durch Weiterentwicklungen der Software und eines Transaktionssystems in der Cloud in den nächsten Jahren lösbar.

Als Mensch erkennt man nicht die Vorteile, welches dieses Chaos mit sich bringt: Unterschiedliche Hersteller, Software und Abrechnungsmodalitäten sind Experimente, die auch ihre positiven Sachen haben. So wie die Evolution genetische Veränderungen hervorbringt. Wer hier zu früh jede Veränderung ablehnt oder sehr früh Regeln in Zement giesst, riskiert die Zukunft des ganzen Systems.

Das sieht man schön am CCS-Standard, der vereinfacht gesagt aus den jeweils etablierten Wechselstrom-Stecker-Standards wie „Mennekes Typ 2“ in Europa oder SAE J1772 in den USA besteht, an dem man noch einen Steckerteil für Gleichstrom angesetzt hat. Dieser Gleichstromteil sieht höhere Ladeströme vor, als man durch Multiplexing des bestehenden Typ2 erreichen könnte, ist aber sehr groß und aufwendig. Tesla hat noch vor der CCS-Standardisierung ein Multiplexing des Typ2-Steckers für Europa entwickelt, dass dann statt Drehstrom nun Gleichstrom übertragen kann, sofern die Gegenseite dies unterstützt (Tesla Supercharger).

Möglich gemacht hat das die Technologieoffenheit basierend auf einem Protokoll-Handshake der nach dem Einstecken bzw vor dem Ladestart die möglichen und kompatiblen Ladeverfahren austauscht.

Tesla will nun 2019 aber trotzdem auf CCS umstellen und auch Bestandskunden einen Adapter anbieten. Das sieht erst mal wie eine Niederlage aus, doch Tesla war ja sogar schon vor der CCS-Normierung mit einer Lösung am Markt und konnte damit Erfahrungen und Marktanteile sammeln. Hätte man dies verboten, weil man „einen Standard“ haben möchte, würden auch heute noch keine Tesla in Deutschland fahren.

Die Ladesäulenverordnung ist nämlich genau so eine Verbots-Verordnung, die technologisch jede Innovation unterbindet: Es gibt dadurch seit Mitte 2017 ein Monopol, einen Zwang, alle öffentlich zugänglichen Ladesäulen mit CCS auszustatten. Auch wenn dafür im Einzelfall kein Cent an Subvention oder Steuererleichterung fliesst, verbietet der Staat hier technologische Alternativen, weil er die Kosten hierfür durch CCS-Support-Zwang künstlich erhöht.

Otto Normaluser mag sich kurzfristig über einheitliche Stecker freuen, aber was wird dann mit selbstfahrenden E-Autos oder automatischer Aufladung? Es ist illusorisch, dass der bisherige Stecker inkl. schwerem Kabel mittels Roboter-Arm ohne menschliches Zutun angedockt werden kann. Kommt ein Startup oder Ladesäulenhersteller nun auf auf die Idee, automatisch koppelbare Lademöglichkeiten anzubieten, so muss trotzdem weiterhin ein CSS-Stecker für manuelle Benutzung verbaut sein und natürlich wird dieser Ladepunkt dann bei der sich 2019 steigenden Nachfrage durch Autofahrer „blockiert“ werden. Wer als Startup also jetzt ein Netz an automatischen Lademöglichkeiten aufbauen möchte, eventuell mit Unterstützung eines Herstellers, wird dies garantiert nicht in Deutschland tun. Und damit entgehen uns nicht nur Innovationen sondern auch Steuern, weil dann zukünftige Lizenzkosten sicher auch nicht in Deutschland steuerbar sind.

Fazit:

Einheitlichkeit in der Bedienung von Geräten hat zwar seine Vorteile, aber ein Markt, bei dem sich 5-10% der Lösungen nicht vollkommen atypisch verhalten, wird insgesamt auf Dauer anfällig und irrelevant. Innovationen stammen nämlich aus den (wenigen) geglückten Versuchen dieser 5-10% Nonkonformisten oder utopischen Startups, nicht aus der Masse von Millionen Menschen heraus, die sich im Großen und ganzen einheitlich verhalten und einheitlich Tanken oder Laden wollen.

Ein Staat sollte hier nur Verbote erlassen, wenn die Gesundheit, die Grundrechte oder allgemein die Rechte seiner Bürger bzw. Menschen und Tiere allgemein verletzt werden. Keine Gesetze, keine Verordnungen, keine Verbote aus Gefälligkeit, aus industriepolitischen Gründen oder zur Sicherung sterbender Geschäfte. Ob Steinkohlepfennig, Leistungsschutzrecht oder Ladesäulenverordnung: Die Zukunft hält man damit nicht auf und sie wird dann eben im Ausland gemacht.

Aber wenn schon selbst der angeblich early-adopter E-Auto-Michel nach Vereinheitlichung schreit, ist meine Sichtweise wohl dem Land hier nicht angemessen.

2 Kommentare

  1. LZ LZ

    👍 und: Wie wäre es mit einem Artikel über E-Scooter?

    • Roland Roland

      Kommt sicher noch – wegen Winter saisonal vermutlich nicht so interessant. Mal schauen was zuerst heiss wird: Model 3 in Deutschland oder die nächste Bundestagsrunde zu E-Scooter.

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