Seit meinem Quereinstieg 1999 hat sich sehr, sehr viel in der Branche getan. Viele Menschen, Technologien und Trends habe ich kommen und gehen sehen, viele auch schlicht verpasst. Weder bin ich Multimillionär noch besitze ich Häuser. Der folgende Plan ist daher absolut nicht neutral oder aus der Sichtweise eines „Gewinners“ sondern aus meiner rückblickenden Sichtweise und dementsprechend stark subjektiv und nicht 1:1 übertragbar, sondern soll meine Erfahrungen und Erkenntnisse beschreiben.
Ich würde es jedenfalls heute so versuchen:
Erfolg, Ziel, Einsatz
Was möchte man erreichen? Möchte man ein ruhiges Leben mit eigener Familie, einer Wohnung oder einem kleinen Haus und geregelter 9-18 Uhr Arbeit leben? Für mich war das nie eine Option. Manche sehen das als Arroganz oder ein „getrieben sein“, für mich war es aber immer auch ein Mittel zum Selbstschutz: Eine Branche, die so schnell und radikal Veränderungen unterworfen ist, insbesondere Veränderungen auf die man keinen unmittelbaren Einfluss hat, ist auch heute noch keine Branche für einen ruhigen Job.
Zu schnell sind Unternehmen von der Bildfläche verschwunden und eine typische Anstellung in Deutschland ist dafür viel zu schlecht bezahlt: Wenn man alle 3-5 Jahre den Job wechseln *muss*, sich aber eine Familie und Immobilienfinanzierung zugelegt hat, ist das sehr schnell ein trauriges Leben.
Es gibt in Deutschland besser bezahlte, nachhaltigere und sichere Karrierewege als z.B. über die IT/Informatik. Wenn ihr also o.g. Idyll als Ziel habt: Studiert lieber BWL.
Innovationsquellen
99% aller IT-Innovationen, Trends und disruptiven Änderungen der Geschäftswelt kamen und kommen wie schon vor 20 Jahren aus den USA oder China. Deutschlands digitaler Rückstand ist noch viel größer als schon vor 20 Jahren.
Ich hatte 2000 das Glück als Entwickler bei Amazon.de anzufangen und habe dort viel gelernt, trotzdem ist man auch bei einem US-Unternehmen in Deutschland nur dazu da, den regionalen Markt für den Konzern zu erschliessen. Neue Produkte, Geschäftsfelder oder Technologien werden im US HQ geplant und meist von dort aus auch umgesetzt. Man darf höchstens den regionalen Rollout übernehmen.
Da nützt auch kein Bachelor, kein Master, keine Promotion etwas: Deutschland ist ein sehr kleines Land und sämtliche lokalen Marktführer werden immer weiter durch globale Konzerne aus den USA und China angegriffen und hinken in R&D sehr deutlich hinterher.
Vorteile, also ein „Edge“, sind nur durch Innovationen oder Kostensenkungen zu erreichen, beides wird im Valley geschaffen sowie in China in Peking und Shenzhen.
Weiterhin habt ihr in Deutschland absolut keine IT-Lobby. Keine Partei, keine Gewerkschaft, keine Bitkom wird euch oder eurem Unternehmen helfen. Bestes Beispiel ist die ins Valley ausgelagerte R&D von SAP. Natürlich laufen auch in Deutschland viele Informatiker umher, die dann „planerische“ Tätigkeiten übernehmen, UML-Diagramme und Powerpoints zum Offshore-Outsourcing nach Osteuropa oder Indien basteln, die allesamt keine messbaren Werte schaffen. Der Markt wird diese Stellen auf Dauer eliminieren, weil immer weniger Menschen zum Erschaffen und der Pflege von IT-Lösungen gebraucht werden. Statt 100 Leute in Deutschland und 300 Leute in Indien reichen auch 50 Leute in den USA, die mit modernen, zielführenden Mitteln das Produkt auch selbst bauen. Die in deutschen Unternehmen existierende „intern planen, dann offshore bauen lassen“-Denke erinnert an die Automobilindustrie, wo Zulieferer kommandiert werden und alle Optimierung irgendwann an „physikalische Grenzen“ gelangt. Digitale Prozesse kennen keine Bremsen. Skalierung ist heute ein weitgehend gelöstes Problem (auch dank schnellerer Miet-Hardware).
Weiterhin verdient Ihr in D Vorsteuer ca. 50% von dem eines US-Kollegen, erhaltet so gut wie nie Mitarbeiteraktien bzw. Aktienoptionen und werdet als Single steuerlich ausgenommen wie eine Gans. Ihr werdet hier nur sehr schwer den Weg zu finanziellen Freiheit finden, habt aber trotzdem das gesamte branchenspezifische Risiko wie oben beschrieben. Ich rate euch also hier nochmals von einer Karriere in der IT-Branche in Deutschland, insbesondere bei europäischen Unternehmen ab.
Phase 0: Spielplan
Vergesst das Informatik-Studium in Deutschland. Es ist Zeitverschwendung. Lehrplan und Professoren/Dozenten sind in der Mehrheit unterdurchschnittlich, ihr lernt dort Theorien, die nicht ausreichend sind um fundamentale Entwicklung zu betreiben und Praxis-Wissen, das nicht mehr dazu geeignet ist, mit den aktuell marktüblichen Entwicklungen mitzuhalten. Was ihr hier im Studium lernt ist schon längst eine Commodity, also banales Wissen, millionenhaft auf der Welt vorhanden, angewendet, verbessert und teilweise schon abgelöst worden. Ihr erlangt keinen Vorteil mehr dadurch, verschwendet aber die frühen 20er Jahre eures Lebens.
Erstes Ziel muss sein, möglichst früh in die USA zu kommen, entweder zum dortigen Studium (vmtl nur mit Stipendium realistisch) oder als Mitarbeiter bei einem US-Konzern, sofern ihr hier nach dem Schulabschluss ein paar Jahre in der deutschen Filiale des Konzerns arbeitet und dann versucht innerhalb des Unternehmens in die USA versetzt zu werden.
Über das Studenten-Visum könnt und solltet ihr dort eure Bachelor-Ausbildung abschliessen und euch über mögliche Anstellungen (inkl. Visum) nach dem Studium laufend informieren.
In beiden Fällen müssen potentielle Arbeitgeber für euch Bürokratiearbeit übernehmen und ihr müsst qualitative und quantitative Hürden hinsichtlich der Arbeitsbewilligung nehmen. Early Stage Startups haben dafür keine Zeit und keine Anwälte und sind oft schneller von der Bildfläche verschwunden als man befürchtet. Versucht es also bei „seriösen“ Firmen wie Facebook, Amazon, Apple, Google, Microsoft, IBM, Oracle etc.
Als Student solltet hier nicht älter als 20 Jahre sein, über den Company-Transfer-Weg solltet ihr bestenfalls Mitte-Ende 20 sein.
Phase 1: Akkumulation 1
Im Gegensatz zu deutschen Jobs sind IT-Jobs im Valley, NYC, Seattle, Colorado sehr gut bezahlt, allerdings sind die Lebenshaltungskosten in den Regionen auch sehr hoch. Ihr müsst das Geld zusammenhalten, werdet aber gut versorgt: Die übliche Krankenversicherungen bei großen Tech-Konzernen sind üblicherweise besser als in Deutschland, Mitarbeiteraktien als Bonus bringen euch weitere Einnahmen. Die Steuerbelastung als Single ist deutlich geringer als in Deutschland, dafür habt ihr fast keinen bezahlten Urlaub (je nach Unternehmen – ein Tradeoff).
Ihr solltet hier mindestens 150.000$, eher Richtung 200.000$ pre-tax verdienen. Schaut auf Angellist nach Jobs mit Gehaltsangabe. Ausserhalb der SF-Metropolregion (NYC ausgenommen) sollten es trotzdem mindestens ~100.000$ sein, legt die Kohle unbedingt in einen Index-ETF an. Lebt auf schmalem Fuss!
Versucht unbedingt, eine dauerhafte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu erlangen, die nicht an euren Arbeitgeber gebunden ist, damit ihr beim nächsten Börsengewitter/Abschwung nicht neben dem Job auch euren US-Wohnsitz verliert!
Phase 2a: Option: Lottospielen
Ihr könnt versuchen bei einem Startup einzusteigen. Besser gesagt: Ihr müsst die Leute kennen, die gründen. Ob ihr dann mit z.B. Kollegen oder Mitstudenten z.B. via Y-Combinator etwas aufbaut oder ob Du einer der ersten Mitarbeiter bei einem mit viel VC gepuderten Startup wirst: Das Risiko ist enorm, ihr müsst quasi rund um die Uhr arbeiten und wie oben angesprochen müsst ihr hier schon eine Green Card besitzen. Deshalb ist diese Option vmtl nur etwas, wenn ihr reiche Eltern habt (zB EB-5 Investor-Visum).
Aber macht euch nichts vor: Nach spätestens 5 Jahren seid ihr ausgebrannt. Ihr müsst sicherstellen, dass ihr auf das richtige Pferd setzt, was unrelistisch ist. In 99% der Fällen ist der „Großkonzern“-Ansatz der bessere: Uncool, aber gut bezahlt und mit guten Perks, egal wie es ausgeht.
Klappt es nicht, müsst ihr bei Phase 2b weitermachen:
Phase 2b: Option Akkumulation 2
Neue Technologien aber auch höhere Gehälter oder „Lottogewinne“ git es nur mit einem Jobwechsel also meist auch einem Technologiewechsel für den ihr viel Arbeit und Zeit investieren müsst (lernen, entwickeln, anwenden). H-1B Visa sind an den Arbeitgeber gebunden und ein Fehler während eines Transfers kann für euch die Deportation bedeuten.
Phase 3: Cash out
Die SV-Kultur ist stark altersdiskriminierend, einfach weil die Anforderungen kein Zuckerschlecken sind: Harte Arbeit, laufend neue Technologien, das Wissen von gestern ist nichts wert usw. Mit dem oben genannten Plan dürftet ihr jetzt mind 10 Jahre in den USA gelebt haben und solltet pro Jahr mindestens ca 50.000$ in Index-ETF gespart haben und je nach Marktsituation einen Wert von 700-900.000$ erreicht haben . Hattet ihr Glück und ein sehr gutes Gehalt oder durch Mitarbeiteraktien einen Joker gezogen, könnt ihr auch schon Dollar-Millionär sein. Das ist in Kalifornien allerdings nichts wert, also beschränkt euren Konsum weiterhin auf das Nötigste.
Ihr müsst euch nun entscheiden, wie es weitergehen soll, entweder in den USA bleiben, dort in größeren Unternehmen in Bereichen mit geringerer Innovationsfrequenz und größerer Sicherheit weitermachen oder irgendwann wieder nach Deutschland zurückkommen und sich für Familie, Haus und schlecht bezahlten aber hoch versteuerten Job entscheiden.
Der Kapitalstock ermöglicht euch aber einen komfortables Leben an vielen schönen (aber nicht brutal überbewerteten Flecken) in Deutschland oder den USA. Soziale Sicherheit und Krankenversicherung ausserhalb eines Angestelltenverhältnisses (z.B. als Selbständiger oder Privatier) sind in Deutschland deutlich besser, Immobilien in den USA im Allgemeinen deutlich günstiger.
Fehler
- Was euch allgemein empfohlen oder erwartet wird, ist bestenfalls der Weg zum Mittelmaß.
- hohes Risiko bedeutet aber auch nicht automatisch hoher Gewinn. Wenn ihr jung seid, könnt ihr trotzdem viele Risiken eingehen, seid noch unabhängig und könnt relativ viel ausprobieren, ohne dass es später zu arg schmerzt.
- 99,9% der mir in Deutschland begegneten IT-Leute hat absolut keine Ahnung vom Umgang mit Geld, vom Sparen und Anlegen. Nicht ablenken lassen, beschäftigt euch damit. Spielt mit eurem Geld kein Lotto, versucht nicht schlauer als der Markt zu sein, es wird euch selten gelingen.
- Jeder von uns kennt sie, die „Geld ist nicht alles/Ich brauche nicht viel“-Leute, die schon bei der kleinsten Unterhaltung über Lebensplanung und Vermögensaufbau mit dieser Phrase aussteigen oder Halbwahrheiten verbreiten die sie auf Nachfrage nicht belegen oder zumindest logisch begründen können. Werft Sie aus eurer Kontaktliste! Sich um die eigenen Finanzen zu kümmern ist kein Option, sondern eine verdammte Pflicht, denn sowohl in den USA wie auch in Deutschland leben wir alle „über unsere Verhältnisse“, d.h. man sollte in Zukunft noch viel weniger auf Sozialleistungen/Allgemeininfrastruktur angewiesen sein, als heute. Oder man wird zu den Verlierern gehören.
- Wenn ihr einer diese typisch-linken Amerika-Hasser seid oder in Trump einen schlimmen Diktator seht, solltet ihr es bleiben lassen. Sowohl in den USA als auch in Deutschland. Die IT-Welt ist us-amerikanisch und die USA sind ein wirtschaftsliberales Land, mit sehr vielen individuellen Freiheiten welche auch große Eigenverantwortung mit sich bringt. In Deutschland werden dafür einfach Steuern an wichtige Wählergruppen verteilt, also Milliarden an Rentner für Rente und Krankenversicherung. Zahlen muss das die Jugend, die jungen Erwachsenen durch schlechte Bildung, schlechte digitale Infrastruktur und Gesetze zum Schutz des Bestandes (NetzDG, Leistungsschutzrecht, Haftungsregelungeg usw. usf.) und letztlich durch Steuern und Leistungseinbußen (Rente mit 80…)